NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Dienstag, 31. August 2021

Von Genner nach Flensburg

Unser letzter Dänemark-Tag begann mit einer hübschen gelben Wassermühle. Sie versteckte sich zwischen zwei steilen Hügeln im Wald.


Einen etwas befremdlichen Eindruck hinterließ bei uns der Ort Løjt Kirkeby. Hier vollführte gerade irgendein Kindergartenclown ein rätselhaftes Ritual auf dem Schulhof. Er hängte Fahrräder an eine eigenartige Skulptur oder ein Klettergerüst oder was auch immer, tanzte drumherum, hantierte an den Rädern herum und betätigte ab und zu eine Fahrradklingel.
Nebenan wurde die Straße neu geteert. Es standen ein paar Warnschilder herum, aber so richtig abgesperrt war die Fahrbahn nicht, obwohl der frische Asphalt noch dampfte. Wir schoben unsere Räder lieber auf dem Bürgersteig. Schon dort war die Hitze der kaum erträglich: Von oben brannte die Sonne und von unten der Boden. (Wären wir doch nur an einem kalten Tag an dieser Straße vorbeigekommen, dann hätte uns die Baustelle schön durchgewärmt.) Auf einmal überholte uns ein elektrischer Rollstuhl. Sein Fahrer entstammte offenbar dem Hause Targaryen oder hatte eine hitzeresistente metallische Haut (die so schwer ist, dass er im Rollstuhl sitzen muss - das ergibt Sinn). Ohne zu zögern steuerte er mitten durch die flammendheiße Hölle, zwischen den Dampfschwaden des frischen Asphalts hindurch.

Auf den nächsten Abschnitt freute ich mich besonders, denn es handelt sich um einen Bahnradweg namens Knapstien. Hier fuhr einst die... äh... Æ Kleinbahn nach Abenraa. Der größte Teil des Knapstien ist ein Wanderweg, erst auf den letzten Kilometern stößt der Ostseeradweg dazu. Zuerst sind wir unten durchgefahren, ein altes Viadukt aus Feldsteinen macht's möglich. Es liegt im Dorf mit dem passenden Namen Ste(i)ntofte.

Bald darauf verließen wir die Straße und schoben die Räder einen steilen Pfad aus Gras hinauf. Puh, jetzt kann der Spaß beginnen!
Diese Bahntrasse ist etwas schmaler als auf die auf Lolland, schließlich fuhr hier nur eine Kleinbahn. Der Kiesweg ist überaus grün, schattig und abwechslungsreich. Wir sahen weite Wälder, Kuhweiden, einmal kurz das Meer und zum Schluss die ersten Einfamilienhäuser von Abenraa. Ich sollte allerdings erwähnen, dass wir das alles nur durch die Bäume hindurch sahen. Das bedeutet, wir konnten es nur so halb erkennen und die Kamera gar nicht. Die Fotos vom Knapstien sehen dementsprechend alle gleich aus.

Einzige Ausnahme ist dieser Betonrastplatz am Ortseingang (hinter der Hecke verbirgt sich das erste Haus der Stadt).


Der Knapstien brachte uns direkt in die Großstadt Abenraa (unnötige Eindeutschung: Apenrade). Das war mal eine bedeutende Handelsstadt, was man zum Beispiel am Zollamt erkennt. Es wurde mit extravielen Schutzdächern gebaut, damit die Leute möglichst gut vor der heißen karibischen Sonne geschützt werden. Nun liegt, wie der eine oder andere vielleicht weiß, Dänemark gar nicht in der Karibik (obwohl es genau so viele Inseln hat). Der Bauplan war eigentlich für ein Zollamt auf den Jungferninseln gedacht, aber irgendwer hat die Pläne durcheinandergebracht, keiner der dänischen Bauarbeiter hat etwas gemerkt und jetzt gibt es dieses Gebäude halt zweimal. Bei der heutigen Hitze haben sich die Mitarbeiter bestimmt über den Fehler gefreut - der angesichts der globalen Erwärmung langfristig gesehen gar kein Fehler war.

Abenraa ist ein bisschen hügelig. Deshalb beschlossen wir, die Räder am Rand der Altstadt anzuschließen und einen Spaziergang zu Fuß zu unternehmen. Die Stadt besteht ähnlich wie Svendborg und Haderslev aus bunten Häusern mit einem bunten gastronomischen Angebot, das unsere Pläne sehr schnell von Lass uns kurz in eine Café setzen zu Lass uns richtig was essen änderte. Wo sonst kann man in einem dänischen Restaurant großartiges indisches Essen mit belgischen Waffeln zu Nachtisch verspeisen? Das nenne ich mal internationale Küche.

Völlig vollgestopft erhoben wir uns wieder und kehrten zu unseren Rädern zurück. Verdammt, wo sind die denn? Diese Straße hier kommt mir überhaupt nicht bekannt vor. Lass uns nochmal zurück zum Marktplatz gehen.
Erst beim dritten Versuch entdeckten wir die richtige Gasse.

In Abenraa stand auch noch ein anderer wichtiger Punkt an: Meine Freundin brauchte einen Coronatest für die Einreise nach Deutschland. In einem niedrigen grauen Glaskasten im Gewerbegebiet befand sich das Testzentrum von Abenraa. Zum Glück ist Dänemark eines der drei europäischen Länder, wo auch Ausländer sich kostenlos und (fast immer) ohne Termin testen lassen können. Die dänische Regierung veröffentlicht im Internet eine Karte, wo alle Testzentren mit Öffnungszeiten zu finden sind. (Deutschland hat zwar mehrere solcher Karten, aber die sind so unvollständig, dass es ein ausgesprochen seltenes Phänomen darstellt, wenn zwei davon dasselbe Testzentrum anzeigen.) Dänemark ist halt super. Das beweist auch das folgende historische Ereignis:
Vor langer Zeit erließ der dänische König ein Gesetz, dass im ganzen Land in regelmäßigen Abständen ein Kro (Krug), also ein Gasthaus für Reisende, errichtet werden muss. Während dies auf der Insel Møn offenbar bis heute nicht umgesetzt wurde, sind auf dem Festland immer wieder Hotels zu sehen, die sich noch als Kro bezeichnen. Einer davon steht direkt am Aabenraa Fjord neben der Müllverbrennungsanlage.

Da ist dieser weiße Kro doch wesentlich schöner gelegen!
Weil die Zeit langsam knapp wurde, haben wir die Wegführung der Karte (die eh nicht am Meer langgeht) ignoriert und sind der großen Straße gen Süden gefolgt. Der Radweg war zwar nicht immer so super, aber zumindest kamen wir schnell voran. Am Wegesrand sahen wir einige Süßwasserseen und eine Eisenbahnstrecke ohne Schwellen. Jedes Mal, wenn wir in den Schatten der Bäume eintauchen konnten, atmeten wir erleichtert auf.

Kurz vor Kruså (Krusau) wurde der Radweg an der Hauptstraße wieder schöner. Den durften wir sogar doppelt fahren, weil wir einen Fahrradhelm auf dem Rastplatz liegen ließen.
Dann kamen wir am Grenzübergang heraus. Seit 1920 verläuft die Grenze hier. Anfangs arbeiteten die dänischen Zöllner in einem Kro und die Deutschen in einer Bretterbruchbude, bevor beide Länder richtige Gebäude errichteten. Da drüben beginnt schon Deutschland. Aber wären wir hier schon rübergewechselt, dann wären wir auf einer Autobahn gelandet.

Wir sind doch Ostseeradler, und deshalb überqueren wir die Grenze an der Ostsee!
Das war aber gar nicht so leicht, denn immer wieder wären wir um Haaresbreite zu früh in Deutschland gelandet. Einmal wunderte ich mich, wieso direkt vor unserer Nase schon ein deutsches Fahrradschild aufragte. Dann begriff ich, dass die Viehsperre zu meinen Füßen, ein kleines unauffälliges Gitter, offenbar die Grenze darstellte.
Dahinter ist der Kruså alias die Krusau, ein deutsch-dänischer Bach, die Grenze. In einem Bett aus schwarzem Schlamm wälzt sie sich durch einen hellen Wald. Dieser Wald gehörte bis 2006 der Stadt Flensburg, die ihn aus Geldmangel an einen dänischen Privatmann verkaufte. Heute gehört er dem dänischen Naturfonds. Einige Meter vom Bach entfernt holperten wir über Stock und Stein auf und ab. Dieser Weg heißt Gendarmenpfad, denn hier patrouillierten bis 1958 Gesetzeshüter auf der Suche nach Schmugglern. Sie lebten in einfachen Häusern direkt an ihrem Grenzabschnitt, den sie so gut wie ihren eigenen Garten kannten, weil es quasi ihr eigener Garten war. Angeblich war es für sie Ehrensache, ihre Waffe nicht zu ziehen, ein echter Gendarm verhaftete jeden Schmuggler einfach mit Autorität und Charme.
Die EU hat die Gendarmen überflüssig gemacht, doch das Coronavirus hat sie zurück auf ihren Pfad gebracht. Halb im Gebüsch verborgen saßen zwei Gendarmen in einem dänischen Polizeiauto. Sie winkten uns freundlich durch. Vermutlich waren sie mehr an Reisenden interessiert, die in die andere Richtung unterwegs waren. Später versperrte uns ein seltsamer Zaun den Weg, den wir erst umständlich öffnen mussten. Er verlief nicht entlang der Grenze, also sollte er wahrscheinlich das Wild im Wald schützen.

Endlich kamen wir an der Ostsee heraus, genauer gesagt an der Flensburger Förde. Langsam hatten wir das Gefühl, der Gendarmenpfad nimmt gar kein Ende. Dabei war das noch der harmlose Teil, wer auf der südlichen Variante des Ostseeradwegs über die Insel Ærø fährt, für den wird jetzt es erst richtig heftig. Wir wären am liebsten auch noch weiter durch Dänemark gefahren, so toll fanden wir das Land. Irgendwann fahren wir vielleicht auch mal diese Variante. Aber jetzt hatten wir schon die längere Tour durch Deutschland geplant.

Und die begann jetzt gleich am Grenzübergang Schusterkate, dem kleinsten Grenzübergang Europas. Er besteht aus einer Holzbrücke über die Krusau, die einzige Brücke, die Deutschland und Dänemark verbindet (und weil sich die Dänen umentschieden haben, dass sie lieber einen Tunnel und keine Brücke nach Fehmarn bauen wollen, wird das auch so bleiben und das kleine Brücklein bekommt doch keine gigantische Konkurrenz). Am Geländer hing gerade eine kleine Ausstellung mit deutschen Karikaturen.
Die Schusterkate selbst ist ein rotes gemütliches Holzhäuschen mit Bootsanlegesteg. Sie steht auf der dänischen Seite, aber der darin lebende Schuster scheint deutsch zu sein. Privatgrundstück! Rasten verboten! schrie uns ein Schild entgegen, als wir gerade überlegten, ob wir nicht direkt an der Grenze eine Essenpause einlegen sollten.

Auf der anderen Seite ging der Schilderwald weiter: Schutt abladen verboten! Ein Schild, auf dem Deutschland stand, gab es nicht (nur einen steinernen Grenzpfosten mit einen D drauf). Wozu auch? Die Begrüßung war unmissverständlich.
Die deutsch-dänische Grenze verläuft ab hier auf dem Meer. Diese Stelle ist übrigens der westlichste Punkt der Ostsee und liegt damit quasi gegenüber von St. Petersburg.

Kaum zu glauben: In ganz Dänemark haben wir nur einen einzigen Massenstrand gesehen (in Marielyst). In Deutschland dagegen kam schon nach wenigen Metern der Badestrand von Wassersleben. Ob man in dieser Hinsicht Deutschland oder Dänemark besser findet, ist wohl Ansichtssache. Breitere Sandstrände sind schön, auf dem Radweg immer wieder Badegästen auszuweichen, ist nicht schön.
Ich erinnere mich vage, dass ich als Kind mal hier war. Als man mir erklärte, dass da drüben schon Dänemark sei, fand ich es unglaublich cool, auf dem "letzten Spielplatz von Deutschland" zu spielen. Auch diesmal statten wir dem Spielplatz einen Besuch ab, aber nur, um auf der Bank Nudeln zu kochen. Grenzüberquerungen machen außergewöhnlich hungrig.

Privatgrundstück! Ein Bootsclub hinderte uns daran, dem Wasser weiter zu folgen. Wir irrten durch einen Park und durchquerten ein Industriegebiet.

Dann durften zurück ans Meer. Ein paar historische Segelschiffe liegen still in der Flensburger Förde.
Förde ist das deutsche Word für Fjord. Streng genommen ist das nicht richtig, wie ich auf dieser Tour gelernt habe: Ein Fjord entsteht durch Gletscher, die sich in Richtung Meer schieben, bei einer Förde wandern sie in Richtung Land. Aber diese Unterscheidung benutzen bloß Geographen. Die Leute, die die ganze Landschaft benannt haben, haben sich danach gerichtet, auf welcher Seite der Grenze das Wasser liegt. Die Flensburger Förde ist die Grenze, also hat sie zwei Namen: Die Dänen nennen sie Flensborg Fjord.

Die Förde wird immer schmaler und endet schließlich mit ein paar Holzbänken an der Hafenspitze. Die Ostsee hat sich richtig tief ins Stadtzentrum gegraben, und das nur, um ein paar Studenten den idealen Platz zu geben, sich mit Freunden auf eine Flasche Bier zu treffen. Oder?
Nein, ursprünglich diente diese Stelle als geschützter Naturhafen. Anfangs war die Hafenspitze sogar 500 Meter tiefer. Es war nicht so schlau von den Flensburgern, ihren Schutt da reinzukippen, denn irgendwann war das Wasser nicht mehr tief genug für die Schiffe und schließlich verschwand es ganz.
Wenn ein Schiff von hier aus nach Westen wollte, musste es einen komplizierten, teuren (wegen der Zölle) und gefährlichen (wegen der Sandbänke) Umweg durch die dänischen Sunde fahren und eventuell sinken. Dagegen war unsere Radtour durch die dänischen Sunde harmlos. Eine britische Eisenbahngesellschaft baute 1854 eine Bahnlinie quer durch Schleswig-Holstein, um die Dänen zu umgehen. Drei Jahre später schafften die Dänen den Sundzoll ab. Ein Zufall? Wohl kaum. Eine Weile teilten sich die Dänen und Briten die Einnahmen der Flensburger Schiffe, nach 13 Jahren wurde die altersschwache Bahn wieder abgebaut.

Parallel zur Förde verläuft die Fußgängerzone mit dem alten Rathaus. Das eine oder andere alte Gebäude ragt hier krumm und schief in die Straße hinein.

Flensburg liebt dich, wie du bist! verkündet ein Plakat. Das ist doch eine weitaus nettere Begrüßung. (Aber wenn du mich wirklich liebst, Flensburg, warum hast du mir dann diese entsetzliche öffentliche Toilette angetan? WARUM?)
Die Nähe zu Dänemark ist noch deutlich zu spüren - eine Buslinie fährt bis Kruså, viele Schilder sind zweisprachig, in der Fußgängerzone steht dänische Bibliothek und selbst am Bahnhof steht auf dem blauen Schild Flensburg Flensborg - nur für den Fall, dass die Dänen den Namen wegen des einen unterschiedlichen Buchstabens nicht verstehen sollten.
Jung und studentisch, hip und historisch - Flensburg scheint eine passende Stadt für unsereins zu sein. Dazu passt, dass in Flensburg schon immer viel Rum gehandelt und gemixt wurde - und dass unser Reiseführer zu Flensburg eine komplette Spalte nur über Beate Uhse schreibt, die hier den ersten Sexshop der Welt gegründet hat.
Über der Straße hängen Schuhe, die, vermute ich mal, auf ein politisches Anliegen aufmerksam machen sollen.

Und die Fahrräder sind bereits warm eingepackt, damit sie auch im Winter fahren können.

Jetzt durchqueren wir Schleswig-Holstein. Das Gute daran ist: In diesem Bundesland kenne ich mehrere herzensgute Menschen, die nach einem Anruf ohne zu Zögern bereit waren, uns kurzfristig eine überaus komfortable Übernachtung zu gewähren. Ohne sie wäre diese Tour längst nicht so schön geworden. Nur: Die wohnen nicht direkt am Meer. Um unsere lange Strecke nicht noch weiter zu verlängern, griffen wir auf öffentliche Verkehrsmittel zurück.
Am Bahnhof Flensburg Flensborg sind wir eine Station mit dem Zug gefahren und dann noch eine Weile in das Dorf geradelt, wo herzensguter Mensch Nr. 1 lebt, meine Tante. Sie begrüßte uns selbstverständlich mit: "Na, ihr Weltreisenden?" (Wenn sie den Spruch nicht gebracht hätte, wäre ich auch enttäuscht gewesen.) Den Rest des Abends verbrachten wir damit, fast alles aufzufuttern, was im Haus an Lebensmitteln vorrätig war. Grenzüberquerungen machen wirklich, wirklich hungrig.
Wir schliefen zwei Nächte in einem Wohnmobil namens Klaus-Peter, das sogar wasserdicht war - wenn auch nur, weil eine Plane darauf lag. Nach unserem Zelt war es trotzdem der reinste Luxus. Einen Ruhetag verbrachten wir damit, Wäsche zu waschen, noch mehr zu essen und auf der Terasse die Sonne zu genießen. Außerdem ließ ich mich im Dorffreibad, wo wirklich jeder jeden kannte, anstarren. Ich war vermutlich der erste auswärtige Besucher seit mindestens 140 Jahren.

Sonntag, 29. August 2021

Von Skamling nach Genner

Heute morgen suchte ich ein Messer und warf hektisch Sachen aus der Tasche. Zielsicher traf ich mit einem Glas Schokoaufstrich die Olivenölflasche. Sie zerbrach. Da brauchen wir wohl neues.

In zwei Tagen müssen wir in Deutschland sein, schließlich habe ich unsere Ankunft schon angekündigt. Und morgens erstmal einen 113 Meter hohen Berg runterzusausen, ist sehr motivierend. Das Wetter ist auf prima, auf geht's!

Erste Station des Tages ist die kleinere Stadt Christiansfeld. Sie ist bekannt für ihre Honigkuchen, die schon seit dem 19. Jahrhundert... egal, sie hatten mich schon beim Wort Honigkuchen. Wir haben uns im erstbesten Café ein Stück gegönnt und es war wirklich sehr lecker. Bei dem Versuch, einen Honigkuchen mitzunehmen, verwandelte sich dieser innerhalb kürzester Zeit in Honigmatsch (schmeckt auch).

Selbst die gelblichen Häuser der Stadt sehen ein bisschen wie Honigkuchen aus.

Christiansfeld wurde von ein paar Mönchen aus der Lausitz gegründet, die von Dänemark alle möglichen Vorrechte erhielten. Sie entwarfen eine Stadt mit symmetrischen Straßen und einer eigenartigen Kirche.
Sie ist total breit, niedrig, leer und weiß und hat einen Predigttisch anstelle einer Kanzel, aber das ist noch nicht das Seltsamste. Auf dem Holzboden ist Strandsand von der Ostsee verstreut, um die Verbundenheit mit der Region zu betonen oder so. Und ganz hinten hat eine Künstlerin aus Texas Donald Trumps Mauer aus Plastiktüten nachgebaut. So viel verrät das beiliegende Informationsmaterial. Was wir dem Heft nicht entnehmen konnten, war, warum die Mauer ausgerechnet in Christiansfeld hängt. Wir vermuten, dass die Künstlerin von hier stammt, denn Dörte ist ja nicht gerade ein typisch texanischer Name. Auch sonst ist der Standort gar nicht so unpassend, immerhin sind wir nicht mehr weit von der deutschen Grenze, die Dänemark während der Flüchtlingswelle 2015 relativ früh geschlossen hat.

Heute sind wir der offiziellen Route mit all ihren Schlenkern gefolgt. Der flache Feldweg durchquerte gleich die nächste Sehenswürdigkeit: Bulladen ist das älteste Blockhaus Dänemarks. Es besteht komplett aus senkrechten und waagerechten Holzbalken, stammt aus dem 17. Jahrhundert und sieht nicht aus, als wäre es seitdem renoviert worden.
Hm, wahrscheinlich ist doch nur der rechte Teil das Blockhaus, das hübsche Tor besteht ja nicht nur aus Holz.

Ein klares Zeichen, dass wir uns Deutschland nähern: Die Heuballen sind wieder rund!

Das ist doch mal ein toller Garten!

Jetzt mussten wir noch eine Runde durch die Großstadt Haderslev (Hadersleben) drehen. Ja, wir mussten: Ein Rundgang durch die Altstadt ist ein Muss, schreibt der Reiseführer, also blieb uns gar nichts anderes übrig. Da soll man sich wie im Mittelalter fühlen.
Nun ja, Haderslev ist ganz nett, aber wir haben schon schönere und mittelalterlichere dänische Städte gesehen. Wir unternahmen einen Streifzug durch eine dänische Buchhandlung und stellten fest, welche Bücher wir auf Dänisch wiedererkennen und welche nicht. Weiter hinten im Landen entdeckten wir schöne Puzzles dänischer Sehenswürdigkeiten, die wir zum Teil schon live gesehen hatten. Die waren zu sperrig für unsere Taschen (also die Puzzles, die Sehenswürdigkeiten allerdings auch), daher mussten wir uns darauf beschränken, die Motive zu bewundern.

Die Kirche sieht wieder mal so aus, als stünde sie in Rostock. Dass man für den Klingelbeutel auch Mobilepay nutzen kann, ist jedoch überaus dänisch.

Die historischen Fachwerkhäuser konnten wir wie in Kolding an einer Hand abzählen. Sie stehen in der Nähe des Fjords. Wobei, das Wasser ist so schmal, das ist schon kein Fjord mehr, sondern ein Fluss oder See oder was auch immer... Haderslev Dam wird das grüne Gewässer offiziell genannt, es handelt sich um ein Naturschutzgebiet. Viele Weiden beugen sich über das Wasser, als wollten sie trinken.

Im Inneren eines Auto-Kreisverkehrs verbirgt sich ein Fahrrad-Kreisverkehr, der uns aus Haderslev verabschiedete. Aber damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Nicht überall ist der Straßenverkehr in dieser Stadt so entspannt.

Später gelangten wir endlich mal wieder ans Meer - und zwar an eine richtige offene Bucht, keinen städtischen Fjord. Das mussten wir ausnutzen, heute könnte schließlich der letzte Tag mit Badewetter sein. (Spoiler: War er nicht.)
Das Baden war gar nicht so einfach. Der Meeresboden war voll von spitzen Steinen. Die Alternative bestand aus einem sehr schmalen, rostigen und halb zerfallenen Steg. Betreten auf eigene Gefahr, warnte ein Schild, das wir gerade noch so noch entziffern konnten. Damit war es intakter als der Steg.
In Vilstrup Strand ist eine Bikinifigur mit wenig Körpergewicht tatsächlich hilfreich - nicht wegen irgendwelcher Schönheitsideale, sondern um diesen Steg nicht endgültig zu zerstören. Wir brauchten gefühlte zwei Stunden, um den Steg ganz langsam und vorsichtig zu überqueren, dann schwammen wir ein paar Runden im tieferen Wasser und schritten wiederum zwei Stunden lang auf dem Steg zurück. Die ganze Zeit saßen vier Omas am Strand und tratschen auf Dänisch über Gott und die Welt und höchstwahrscheinlich auch über uns.

Die heutige Strecke hat uns zwischendurch ein paar flache Kilometer geschenkt, der letzte Abschnitt wurde wieder anstrengender.

Eine Bucht weiter liegt die Mini-Insel Kalvø. Sie ist über eine Brücke mit dem Festland verbunden und erfreut sich bei Seglern großer Beliebtheit.

Deswegen habe ich Toiletten, Wasser und sogar Duschen entdeckt. Die sind vor allem für die Segler gedacht, aber ich glaube, Radfahrer dürfen sie auch benutzen - warum sonst sollte der Naturlagerplatz auf dem Festland auf sie hinweisen?
Mit dem nachdenklichen Slogan Kein Mensch ist eine Insel wird für die Kalvø-Hochschultage geworben. Der weiße Gebäudekomplex der Insel beinhaltet außerdem ein Gasthaus und ein kleines Schiffsmuseum. Der Rest ist Naturschutzgebiet. Kaum zu glauben, aber wahr: Auf dieser winzigen Insel stand mal eine bedeutende Werft mit über 100 Angestellten.
Dieses hölzerne Gerät nennt sich Capstan und wurde damals zusammen mit Flaschenzügen benutzt, um Schiffe im Wasser zur Seite zu ziehen und den Rumpf zu reparieren.

Einen Kilometer und einen lästigen Hügel entfernt liegt ein bezaubernder Naturlagerplatz zwischen Wald und Kuhweide. Auch unsere letzte Nacht in Dänemark verbrachten wir wieder neben Kühen, die abends vorbeitrotteten - diesmal aber hinter einem Zaun. Aus einem bestimmten Blickwinkel (den ich auf diesem Foto nicht eingenommen habe) ist auch die Ostsee gut zu sehen, also ganz klar wieder mal ein Übernachtungsplatz der Kategorie Wahnsinn, dass wir vor dieser Aussicht einfach so schlafen dürfen!
Nun ist es Zeit fürs Abendessen. Als erstes brauchen wir Olivenöl und... verdammt. Hätten wir doch nur in Haderslev welches gekauft.
Zum Glück zeltete noch ein freundlicher Radfahrer aus Hamburg auf dem Platz, der ein paar Tropfen Öl abgab. Er war so clever und verwahrte es gut getarnt in einer Plastikflasche, sodass es wie Fahrradöl aussah. Wir fragten lieber nochmal nach, ob er auch wirklich richtig verstanden hatte, von welchem Öl wir da sprachen.
Spät abends, als wir uns gerade ins Zelt legen wollten, leuchteten Leute durch die Dunkelheit. Es waren zwei junge Zimmermänner, die sich einfach auf ihre Matten unter den freien Himmel legten. Sie hatten gerade sechs Wochen in Flensburg gearbeitet und setzten nun ihre Walz fort, also ihre dreijährige Wanderschaft, bei der sie auf keinen Fall nach Hause dürfen. Die beiden nahmen die alten Bräuche offenbar sehr ernst, sie trugen weiße Klamotten, geschnitzte Stäbe und ein Bündel auf dem Rücken. Wahrscheinlich sahen die Walzwanderer vor 300 Jahren nicht wirklich anders aus.

Von Fredericia nach Skamling

Sagte ich, Fyn sei hügelig? Das Festland ist noch viel hügeliger.

Jetzt radeln wir nach Süden in Richtung Deutschland, der Gegenwind sollte also vorbei sein. (Hast du gehört, Wind?) Auf dem folgenden Abschnitt durch Südjütland haben wir kaum etwas von der Ostsee gesehen, eigentlich (abgesehen von einer einzigen Stelle) nur auf Aussichtspunkten und an den Fjorden, die in die Großstädte hineinragen. Hier kommt gleich der Kolding Fjord, ein dicker grauer Arm aus Salzwasser. Wir sind ihm auf der Hauptstraße gefolgt. Auf den weiten Umweg der offiziellen Route hatten wir keine Lust. Anders als in den Niederlanden (wo die Hauptstraßen-Radwege einfach super sind) verstehe aber so langsam, warum die dänischen Radrouten so selten den Hauptstraßen folgen: Es ist wirklich anstrengend und oft schwindet der Radweg zu einem ganz schmalen Streifen dahin. Da war ich mir stellenweise nicht mal sicher, ob das noch eine Radspur sein sollte oder bloß die obligatorischen paar Zentimeter Abstand zwischen dem weißen Streifen und dem Ende des Asphalts.

Selbst die Stromleitungen haben hierzulande ihr eigenes Zelt.

Moment mal, an dem Biohof da drüben stand was von Ægg. Das heißt doch bestimmt Eier, oder? Wollen wir morgen nochmal Rührei machen?
Tatsächlich, in dem kleinen Geschäft gab es frische Eier und noch alles mögliche, sogar eingerollte, in Plastik eingeschweißte und tiefgefrorene Aale. Das war fast schon ein kleiner Supermarkt. Doch eine Bedienung gab es nicht, der ganze Laden war leer und still, nur die Tiefkühltruhe brummte geisterhaft. Wir warfen brav die Münzen in die Box und stellten erst dann fest, dass die Box offenbar nur für die Aale gedacht war und man für alles andere per Mobilepay zahlen sollte. Naja, jetzt ist es schon drin, lässt sich nicht ändern. Was haben die Dänen nur immer mit diesem Mobilepay?

Im chaotischen Kolding rückten wir näher an den Fjord heran. Direkt am Wasser hat die Stadt jedoch nur hässlich verschlungene Brücken, Villen und Segelboote zu bieten.

Um mehr von der Stadt zu sehen, mussten wir uns ein wenig vom Wasser entfernen. Obwohl - da ist ja gleich wieder Wasser! Und nachdem ich heute Morgen schon befürchtet hatte, wir wären vom August direkt in den November geradelt, kam sogar die Sonne heraus. Nein, der Sommer ist noch nicht vorbei, schien sie zu sagen - und während der folgenden Wochen gab sie sich alle Mühe, es zu beweisen.

Ah, das sieht doch schon besser aus! Über einem prächtigen See erhob sich das Schloss Koldinghus und änderte unsere Pläne. Aus Lass uns kurz die Innenstadt angucken wurde plötzlich Lass uns hoch zum Schloss schauen und dann Lass uns das Schloss besichtigen.
Das weiße Schlösschen vor dem Schloss hat offenbar nur die Funktion, einen Parkplatz zu umschließen.

Erst dahinter liegt das richtig alte Schloss. Es erinnert ein wenig an meinen Fahrradschlauch: Das alte Material wurde an vielen Stellen geflickt.
Der Weg dorthin war kürzer, als es schien. Zack, waren wir schon oben und hatten bezahlt.

Wenn die Könige Dänemarks gerade auf Jütland unterwegs waren, dann war dieses Schloss ihre offizielle Residenz. Christian der IV. ließ es ausbauen und hielt sich hier sehr oft auf.

Zu dieser Zeit erfreute sich ein früher Vorläufer des Bowlings großer Beliebtheit, bei dem die Adligen kleine Holzkegel mit einer Kugel an einer Schnur umhauten. So richtig verstanden haben wir die englische Übersetzung der Regeln nicht - je nachdem, wie wir sie interpretiert haben, war es entweder viel zu leicht oder viel zu schwierig.

Christian IV. fand das wohl auch irgendwann langweilig, deshalb marschierte er im Dreißigjährigen Krieg im Nachbarland ein, um statt der Holzkegel ein paar Deutsche umzuhauen. Das führte dazu, dass die Deutschen bald bei ihm einmarschierten. 1626 floh der König aus Deutschland zurück nach Koldinghus, und am nächsten Tag setzte er mit der Fähre nach Fyn über. (Er machte quasi unsere Reise rückwärts.) Die Deutschen demolierten das Schloss so gründlich, als hätte eine große Version der Bowling-Holzkugel wie eine Abrissbirne über den Mauern gewütet.
Der Dreißigjährige Krieg ist damit letztendlich auch der Grund für die Ähnlichkeit zwischen Schloss Koldinghus und meinem Fahrradschlauch. Bei der Renovierung 1995 wurden die Leerstellen mit Holz gefüllt. Das sieht irgendwie faszinierend aus und hat dem Schloss den Europa-Nostra-Preis eingebracht. Wer ganz, ganz genau hinschaut, erkennt noch, welche Teile des Schlosses Original sind.
Das ganze Schloss ist gefüllt mit verschiedenen Ausstellungen, Treppenhäusern und seltsamen Räumen, deren Sinn sich nicht immer erschließt. Dazwischen lagen immer mal wieder längere Metallbrücken, auf denen wir die halb zerstörten Mauern auf uns wirken lassen konnten. Wir stießen sogar auf eine Werkstatt, wo offenbar vor Ort genäht wurde. Nur mithilfe eines Übersichtsplans konnten wir uns einigermaßen zurechtfinden. (Die Betonung liegt auf einigermaßen.)

Weder unsere Zeit noch unsere Orientierung reichte aus, um alles zu sehen. (Aber los, komm, den Aussichtsturm machen wir noch! Ich mag Aussichtstürme.)
Nach seiner Niederlage konnte Christian IV. durch geschicktes Verhandeln gerade noch verhindern, dass er ganz Jütland an Deutschland abgeben musste. (Ansonsten hätten wir jetzt schon die ganze dänische Ostseeküste geschafft. Schade eigentlich.) Um das Festland zu verteidigen, wollte er das kaputte Schloss unbedingt durch eine bessere Festung ersetzen. Kolding lag zu tief unten im Tal. Also entschied er schließlich, dass in Snoghøj eine Festungsstadt mit dem extrem einfallslosen Namen Stadt Jütlands entstehen und per Zwangsumsiedlung mit Bewohnern von Kolding gefüllt werden sollte.
Warte mal, Snoghøj? Da haben wir doch gestern geschlafen, da war doch überhaupt keine Festung.
Stimmt, denn sie wurde von den Schweden verwüstet, bevor sie überhaupt fertig war.
Erst sein Nachfolger Frederik III. nahm das Projekt wieder auf, und letztendlich wurde aus der Idee die Festungsstadt Fredericia. Wie wir selbst gesehen haben, ist Fredericia so einladend, dass keine Zwangsumsiedlung nötig war, um sie mit Menschen zu füllen.

Über Frederik III. informiert eine finstere Sonderausstellung. Der Typ war anscheinend ein absoluter Monarch und ein absoluter Macho, der gern jagte, kämpfte und, wenn er mal nicht jagte oder kämpfte, auf einem Thron aus Einhornhorn (eigentlich den Stoßzähnen von Narwalen, siehe Bild) chillte. Wäre er ein deutscher König gewesen, würde ihn die heutige Geschichtsschreibung wohl nicht so gut beurteilen: Im Prinzip hat er Kriege gegen Schweden angefangen (negativ), hat anfangs immer gewonnen (immerhin) und dann umso krachender verloren (negativ). Außerdem hat er durch politische Reformen die Macht stärker von anderen Adligen zu sich selbst verschoben (naja). Irgendwie merkt man schon, dass seine Nachkommen heute noch an der Spitze Dänemarks stehen - in einem Video zu Beginn der Ausstellung versuchte ein junger, geschniegelter Museumsdirektor mit etwa einer Tonne Haargel auf dem Kopf, sich irgendwas Gutes zu Frederik III. aus den Fingern zu saugen: "Frederik hat uns gezeigt, dass jeder seinen eigenen Weg finden kann, um sein Schicksal zu erfüllen, und das können wir von ihm lernen."
Nein, liebe Rechtskonservative, das ist jetzt keine Cancel Culture. Über solche Könige soll weiterhin informiert werden, und zwar auch über ihre positiven Seiten. Doch wenn ich mich daran zurückerinnere, wie wir im Geschichtsunterricht tabellarisch die vielen guten und schlechten Taten von Friedrich II. sortiert haben, dann gefällt mir die deutsche Art der Geschichtsschreibung besser.

Auf einen ganz speziellen Raum hatte uns die Dame an der Kasse aufmerksam gemacht. "Da sind sehr schöne Sachen.", versprach sie. Dronninges Samling heißt die Ausstellung - Die Sammlung der Königin.
Eine Frage, die sich bestimmt schon einige Deutsche zu den letzten europäischen Monarchien gestellt haben, lautet: Was macht eine Königin eigentlich heutzutage außer stur lächeln und winken?
Hier fanden wir die Antwort: Sticken. Sie stickt und stickt und stickt wie verrückt. Auf Millimeterpapier plant sie genau, wie das Ergebnis aussehen soll. Anschließend verarbeitet sie die Wolle zu bunten Schals und Kissen, Adventskalendern für ihre Kinder, Handtaschen und sogar Handyhüllen. Auch kleine Bilder sind darauf zu finden, etwa Tannenbäumchen (Adventskalender) oder ein Braten (Tischdecke). Königin Margrethe hat ihr eigenes Unternehmen, das basierend auf ihren Entwürfen Sachen verkauft. Irgendwie schön, dass wir in Zeiten leben, in denen eine Königin quasi hauptsächlich Unternehmerin ist, deren Privileg in ein bisschen Gratiswerbung durch die Klatschpresse besteht.
Was sie eigenhändig erschaffen hat, ist natürlich ein bisschen wertvoller und landet deshalb in Glasvitrinen. Ein seriöses Museum muss natürlich Herkunft und Zeit angeben, deshalb steht unter den meisten Vitrinen ganz ehrfurchtsvoll als Quellenangabe: HM Dronningen. HM The Queen. Darunter lasen wir häufig: Gestickt während des zweiten Corona-Lockdowns 2021. Im Schloss Koldinghus werden die Lockdowns bereits wie ein historisches Ereignis behandelt, genau wie der Dreißigjährige Krieg im Zimmer nebenan.

Das hier sind die einzigen beiden alten Fachwerkhäuser von Kolding, natürlich in den beiden Standard-Farben Rot und Gelb.

Die Innenstadt hat mich an Minden erinnert und sieht manchmal ein bisschen leer und abweisend aus.

Dabei hat Kolding durchaus schöne Ecken, die mussten wir nur erstmal entdecken - in versteckten Innenhöfen zum Beispiel oder am Kolding Å (Koldingfluss). Dort verzehrten wir ein phantastisches Nudelgericht.

So, dachte ich, jetzt müssen wir aber wieder raus aus Kolding, wenn wir heute wirklich noch den Campingplatz oben auf dem Berg erreichen wollen. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass die Strecke aus der Stadt raus viel angenehmer war. Zuerst konnten wir ein Stück direkt am Fjord fahren.

Ein neuer Radweg kommt bald, versprach ein Schild, weil ein paar Wurzeln den Asphalt aufgerissen hatten. Ich würde ja erstmal der Straße von heute Vormittag ordentliche Radwege verpassen - aber andererseits war die Strecke dort ja auch kein offizieller Radfernweg.
Auf dem Horizont tauchte bereits der Berg auf, und ehe wir es uns versahen, waren wir oben. Moment mal, was? Das ist einer der höchsten Berge Südjütlands, aber er war nicht mal halb so anstrengend wie die end- und namenlosen Hügel vor Kolding - selbst, als der Radweg irgendwann aufhörte.

Dieser Berg heißt Skamlingsbanken, ist 113 Meter hoch und von großer historischer Bedeutung. Als Preußen einen Teil von Südjütland erobert hatte, guckten die Dänen von hier aus auf ihr verlorenes Territorium runter. Als die Nazis später noch weiter vordrangen, wurde die patriotische Endmoräne zur symbolischen Stätte des Widerstands gegen Bismarck und Hitler.
Nun verkündet eine flatternde Flagge triumphierend, dass die Widerständler letztendlich doch gewonnen haben, und ein Stapel Betonklötze erinnert an die Namen der Menschen, die im Widerstand gestorben sind - die ihre Leben gegeben haben für die grün-gelb gewölbte Fläche namens Dänemark, von der hier oben so viel zu sehen ist. Wir wanderten ein paar Minuten über den Rasen der Hügelkuppe und entdeckten weitere graue Gedächtnissteine mit viel mehr Namen, als wir im Gedächtnis behalten konnten. Sie verraten nichts Genaues über die Todesumstände der Menschen, aber ich empfinde ihnen gegenüber mehr Respekt als gegenüber Frederik III.

Die Aussicht ist auch ohne den historischen Kontext klasse. Auf der anderen Seite erstreckte sich das zarte Blau der Ostsee. Sie schien so nah zu sein, dabei war sie im Radführer nicht mal auf derselben Karte drauf wie die Skamlingsbank.

Auf diesem Berg sollte es einen Campingplatz geben. Nein, leider nicht ganz oben bei der tollen Aussicht, sondern ein paar Meter tiefer und von Bäumen umgeben - da drüben, das muss er sein! Moment, ist das nicht ein Privatgrundstück? Ah, doch, da steht ein Zelt.
Als wir an der Haustür klingelten, kam ein tattriger Mann heraus und nahm unsere Münzen. Die Waschräume mochten voller Spinnen sein und die Plastikstühle alt und wacklig, aber dafür hatten wir auf der Wiese jede Menge Platz. Dies war der einzige Campingplatz auf der gesamten Reise, auf dem wir nicht von Wohnmobilen umzingelt waren und sogar anderen Tourenradlern begegneten - einem dänischen Paar, das die komplette 8 des dänischen Ostseeradwegs durchfährt.