Exkurs: Paddeln auf der Gauja

 In einigen Karten führt der Ostseeküstenradweg hinter Riga weg vom Meer ins Binnenland, unter anderem zum Fluss Gauja und nach Sigulda. Ich fahre zwar die Variante direkt am Meer, aber die Gauja kenne ich auch. Als ich vor einigen Jahren zum ersten Mal in Lettland war, bin ich auf dem Fluss Paddelboot gefahren.

Ein Reisebus transportierte uns zu einer maroden Brücke mit einer Menge Sand drauf. Für den Busfahrer sah die Brücke sehr wenig vertrauenerweckend aus - er traute sich partout nicht drauf. So mussten wir aussteigen und unser schweres Gepäck noch eine ganze Weile bis zum Startpunkt schleppen.

Die Gauja ist ein ruhiger und gemächlicher Fluss. Für Paddler ist nicht die Strömung bemerkenswert, dafür aber die Landschaft - oder besser gesagt, die Sandschaft.
Als ich hörte, dass die Gauja Sandsteinfelsen hätte, stellte ich mir das erstmal so ähnlich wie im Elbsandsteingebirge vor - und ich war irritiert, weil es doch hieß, Lettland sei ein sehr flaches Land.
Nun, Sandstein gibt es tatsächlich, aber das Zeug ist eher Sand als Stein. Kein Wunder also, dass zahlreiche eingeritzte Initialen und Liebesbotschaften das Flussufer zieren.
Der lettische Sandstein ist also niedriger und instabiler, aber auch mitteilsamer und skurriler als der sächsische.

Als erstes übernachteten wir auf einem Campingplatz bei Cēsis. Dort schwammen Tische und Bänke auf dem Wasser, die allerdings vom Regen völlig durchnässt und wenig einladend waren.

Am nächsten Morgen unternahmen wir eine kleine Wanderung ins Unterholz. Auch hier fanden wir lettischen Sandstein, allerdings viel grüner, matschiger und zugewachsener.

Am Ende des Weges erwartete uns eine Quelle. Das Wasser schmeckte dort erheblich besser als das eklige lettische Leitungswasser, also füllten wir unsere Trinkflaschen auf.

Am zweiten Tag sollte die Gauja einige Stromschnellen haben. Die waren aber nicht sonderlich rasant. Zumindest für Menschen.
Diese Ente folgte unserem Boot eine ganze Weile in der Hoffnung, ein wenig Futter zu bekommen. Mit sichtlicher Anstrengung paddelte und kämpfte sie sich durch die Strömung, um nicht den Anschluss zu verlieren. Solch ein Engagement konnten wir nicht unbelohnt lassen, und die Ingeborg bekam tatsächlich etwas zu futtern. (Ja, wir haben ihr einen Namen gegeben.)

Die zweite Nacht verbrachten wir am Campingplatz von Ligatne. Hier verkehrt eine Fähre über die Gauja, die im Grund aussieht wie ein großes hölzernes Floß. An einem Seil zieht man es quer über den Fluss. Selbst Autos wurden mit diesem Gefährt transportiert.

Am Ufer kippen andauernd Bäume um. Einige bilden dicke Barrieren, die sich vor Inseln angesammelt haben.

Andere lehnen sich x-förmig aneinander.

Hinter einer Flussbiegung tauchte schließlich der rostrote Turm der Burg von Turaida auf. Wir waren in Sigulda angekommen, dem Ziel der Paddelreise, das laut Wikipedia am Ostseeradweg liegt.

Unter der Burg befindet sich die Gutmannshöhle aus lettischem Sand. Hier befindet sich besonders viel Kratzgrafitti. Die ältesten Botschaften stammen angeblich aus dem 17. Jahrhundert und sind kaum noch zu entziffern, weil schon mehrere Generationen etwas anderes darübergekratzt haben. Dass die Höhle noch nicht eingestürzt ist, muss man als Wunder einstufen. Ursprünglich war sie sicherlich deutlich kleiner.

In dieser Höhle spielte sich die tragische lettische Nationallegende der Rose von Turaida ab. Das Waisenkind Maija alias Rose wird vom Burgschreiber gefunden und aufgezogen, verliebt sich in den deutschen Landschaftsgärtner Viktor Heil (ja, ich kann den Namen jetzt auch nicht ändern), trifft sich mit ihm heimlich in der Höhle, wird von einem polnischem Söldner, dessen Heiratsantrag sie abgelehnt hat, zwecks Vergewaltigung in die Höhle gelockt und lässt sich dort lieber durch einen Trick vom extrem doofen Söldner erstechen. ("Guck mal, dieses Tuch macht unverwundbar, willst du es ausprobieren?")
Die Legende ist teilweise historisch verbürgt, immerhin gibt es exakte Jahreszahlen und Nachnamen dazu.
Einige Etagen höher auf dem Berg wurde sie begraben. Das Grab wird häufig von jungen Paaren besucht, die es sehr romantisch finden, sich erstechen zu lassen.

Nebenan steht eine Kapelle im Stil eines schwedischen Ferienhäuschens, in der sich Menschen trauen lassen.

Die Burg Turaida selbst besteht aus orangen Backsteinen. Sie hat auf einer Seite zwar kein Tor mehr und die äußere Mauer ist ziemlich lückenhaft, doch den großen Turm konnten wir über enge Wendeltreppe besteigen.

Oben warfen wir einen letzten Blick auf die Gauja.

Zudem wäre da noch ein großer Park mit herumliegenden riesigen Steinköpfen. Jo, ist halt Kunst.

Das ist aber nicht alles, was die Stadt zu bieten hat. Sigulda ist auch ein ziemliches Action- und Erlebniszentrum. Hier befindet sich die einzige Skipiste im flachen Lettland. Im Sommer wächst auf der Piste teilweise Schilf und teilweise grüner Rasen. Dann werden rund um die Piste zahlreiche andere Attraktionen geöffnet - so viele, dass es dann vermutlich mehr zu erleben gibt als im Winter. Das nenne ich mal ein Skigebiet, das ganzjährig etwas zu bieten hat. In der Hinsicht können sogar die Skipisten in Mitteleuropa noch etwas dazulernen.
Kinder können auf Gummireifen eine Bahn entlangrutschen, auf Mountainbikes kann man die Piste runtersausen und an der Seite führt eine Sommerrodelbahn entlang. Der Skilift transportiert die Erlebnishungrigen, Mountainbikes und Rodelschlitten zurück nach oben.

Wem das nicht reicht, der kann in so einer Kugel den Berg runterrollen. Ich mache ja sonst fast alles mit, aber das ist sogar mir zu... nee, danke.

Nebenan erstreckt sich ein Kletterwald. Auch hier kann man Fahrrad fahren, und zwar auf einem Stahlseil von Baum zu Baum.

Woanders in Sigulda steht eine etwas größere Bobbahn für Sportler auf Olympianiveau. Die sausen auf einer über einen Kilometer langen Strecke ins Tal.

Im Winter wird diese Betonrinne vereist und hochgradig gepanzerte Sportler sausen in Bobs, die ihren ganzen Körper umschließen, bergab. Im Sommer herrscht tote Hose, Interessierte können das Startgebäude für zwei Euro besichtigen. Gratis hinein darf eine gigantische Masse kleiner schwarzer Fliegen, welche die Fenster bedecken.

Bei Carnikava mündet die Gauja in die Ostsee.

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