NEU: Die andere Strecke durch Dänemark - mit opportunistischer Mikro-Insel

Alsternative: Von Flensburg nach Svendborg

Donnerstag, 5. August 2021

Alsternative: Von Korsør nach Avnø

Als nächstes schiebt Dänemark wieder eine unwegsame, aber schöne Waldstrecke ein. Zwar nicht direkt am Meer, aber der Schatten war trotzdem sehr willkommen. Eine Tafel erzählt eindrucksvoll bebilderte Sagen über die Trolle und Elfen, die angeblich in diesem Trolldeskoven leben, leider nur auf dänisch.
Ich kochte mir eine Mahlzeit auf einem Rastplatz, als auf einmal jemand aus dem benachbarten Restaurant kam und mir einen Kaffee anbot. Aber die Temperatur war gerade absolut nicht passend für Heißgetränke, außerdem war ich nicht ganz sicher, ob er das jetzt gratis meinte oder mich zu einem Restaurantbesuch im Trolldeskoven überreden wollte. Oder nur getrollt hat.

Dann wollte ich aber lieber ein bisschen was abkürzen, wofür sich der Radweg an der Hauptstraße bestens eignete. Nur mit Schatten war da absolut gar nix mehr.

In Skælskør konnte ich ein Stück am Ufer des Noret radeln. Der Reiseführer sagt, das sei das größte Binnengewässer Dänemarks. Aber weil der See auf Lolland ja schon das größte Süßwassergewässer ist, ist das Ding offenbar über den nahen Fjord mit Salzwasser gefüllt. Außerdem verortet der Reiseführer den Noret eher bei Korsør und verwechselt ihn eventuell mit dem Korsør Nor - so bekannt kann das Gewässer dann ja nun auch wieder nicht sein.

Als sich die offizielle Route wieder dem Meer näherte, bin ich auf die kleinen Zickzack-Alleen abgebogen.

Wenn diese Alleen besonders alt aussehen, folgt meistens ein Schloss. In diesem Fall brachte mich eine Ziegelbrücke rüber zum relativ niedrigen, aber langgestreckten Schloss Holsteinborg. Gebaut hat das Graf Ullrich von Holstein, und den Nachkommen gehört der Bau noch immer. Hier wurde Dänemarks erster Weihnachtsbaum angezündet, und Hans Christian Andersen war so oft zu Besuch, dass er sein persönliches Dauergästezimmer bekam.

Ich bin zufälligerweise nicht Hans Christian Andersen, daher zeigte sich das Schloss nicht ganz so gastfreundlich. Die Räume sind privat, aber der Park soll das ganze Jahr über geöffnet sein. Nur wo? Ich holperte von einem Innenhof zum nächsten und landete nur in Sackgassen, in denen Steine die Sommerhitze ausdünsteten. Keine Spur von kühlendem Grün.

Erst ein Stück hinter der Brücke entdeckte ich einen Zugang. Ein Schild warnt: Ja, ihr dürft rein, wenn ihr euch benehmt, aber vergesst bloß nicht, dass das alles privat ist, und Radfahren geht schon mal gar nicht.

Im Küstendorf Bisserup entdeckte ich eine öffentliche Toilette und blockierte sie eine ganze Weile, denn ich musste meinen Kochtopf noch richtig ausspülen. Anschließend musste ich mich selbst richtig ausspülen, und dafür wartete hinterm Dorf die perfekte Gelegenheit. Ich schloss das Rad im Wald an und kraxelte einen Meter Steilufer herunter.

Wurde dieses Bild in Dänemark aufgenommen oder doch auf einem Archipel im Südpazifik?
Der eine Meter steile Erde verwandelte sich in der Ferne in eine helle Steilküste, wie ich sie an der Flensburger Förde gesehen habe. Ich musste zwar erst über einen Gürtel angespülter Algen steigen, doch dann wurde das Wasser glasklar und die Aussicht geradezu exotisch schön. Die Buhnen aus dicken Steinen lagen bereit, um nichtvorhandene Wellen zu brechen - die heiße Luft flappte nur träge übers Meer, und es gab nichts Besseres, als komplett in dieser blauen Oberfläche zu versinken. Ist das Lolland in der Ferne?
Schwer zu sagen, hier hatte ich zur Abwechslung mal wieder ein Stück offenes Meer.

Auf der nächsten Waldstrecke ereignete sich folgendes:
Bonk!
Etwas unerwartet Schweres prallte an meinem Helm ab. Nanu? Hat etwa dieses kleine Insekt dieses laute Bonk verursacht? Und war das Absicht? Auf jeden Fall landete es sehr zielgerichtet auf meiner Lenkertasche und surfte nun auf meiner Muskelkraft durch den Wald. Der kleine Schnorrer durfte gern mitfahren, aber als der Wald zu Ende war, ließ ich ihn doch lieber abspringen - bis nach Deutschland mitfahren wollte er bestimmt nicht.
In diesem Wald hätte ich irgendwo übernachten können, aber wieso? Der Tag ist ja noch lange nicht vorbei, die nächste Stadt schaffe ich auf jeden Fall noch.

Aus der Waldstrecke wurde eine Schilfstrecke. Heißt: Ebenso viel Natur, null Schatten.
Ebenso viel Natur? Nicht immer, denn im 18. Jahrhundert waren das Kornfelder. Es ist nicht so einfach zu erkennen, denn auf den Hochäckern konnten die Bauern den Pflug nur schwer umdrehen. Sie betrieben Landwirtschaft nach dem Motto: Wenn möglich, nicht wenden! Heißt: Ihre Äcker waren besonders lang und schmal, und weil sie immer wieder dieselbe Linie durchpflügten, wurden die Rinnen und Wellen im Boden immer tiefer.
Irgendwer hatte den Weg mit einer Kette zugehängt, auf die ein Plastikpoller gefädelt war, und ich musste drumherum schieben. Damit war die Naturstrecke erstmal wieder vorbei.

Und zwar richtig vorbei. Nach ein paar Nebenstraßen über die Hügel landete ich unvermittelt im Seebad Karrebæksminde. Schon dort war es deutlich voller. Vielleicht ist es hinter der Klappbrücke auf die Insel Enø besser?

Nein. Enø ist der Badestrand der nächsten Stadt, und offenbar hatten sämtliche Einwohner beschlossen, den Abend hier zu verbringen. Das hier war der vollste Strand, den ich je in Dänemark gesehen hatte, und damit die Fußgänger nicht auf die Straße geraten, waren extra Zäune aufgestellt worden, als wäre hier irgendein Festival oder sonst irgendeine Veranstaltung im Gange. Eine Veranstaltung namens "Ach Schatz, lass uns doch heute Abend mal wieder an den Strand fahren, die Kinder freuen sich bestimmt auch."

Wenn der Strand voll ist, dann ist die Stadt vielleicht leer? Mal sehen. Der Weg dorthin war jedenfalls schon mal super, immer an der Straße am Karrebæk Fjord lang.

Seltsamerweise führt der Weg in die Niederlande. Wo sonst gibt es Fahrrad-Kreisverkehre im Inneren der Auto-Kreisverkehre?

Die Stadt Næstved (Gesundheit!) ist die größte Stadt auf Südseeland. (Für ganz Seeland hat es nicht gereicht, da gibt neben ein paar anderen ja noch einen gewissen Konkurrenten namens Kopenhagen, der relativ schwer zu übertreffen ist.) Kleine Mönchsfiguren überall erinnern an das Kloster, von dem noch die Kirche übrig ist. Das waren aber nicht solche reichen Mönche, die wie Adlige die ganze Stadt gründen und beherrschen, sondern Bettelmönche der Franziskaner, die von den Spenden der Bürger abhängig waren.

Nach der Reformation löste sich das Kloster auf, und die Bürger durften mit den Gebäuden tun, was sie wollten. Anscheinend herrschte in Næstved (Gesundheit!) kein Immobilienmangel, sondern eher Platzmangel, denn sie trugen alles ab und machten einen Marktplatz draus.
Das Ergebnis ist... ungewöhnlich. In der Mitte befinden sich nicht etwa so langweiliges Standardzeug wie Brunnen oder große Statuen, sondern eine Minigolfbahn und die Zufahrt zu einer Tiefgarage, und direkt daneben die Treppe zu einer hässlichen öffentlichen Toilette.

Als ich aber der Spur des Wassers aus der Stadt hinaus folgte, wurde es sofort parkartiger und schöner. Eigentlich wirkt Næstved fast naturverbundener als sein Bade-Vorort vorhin. Vom Kloster plätschert ein Wasserlauf abwärts (mit so einem Brunnen mit einer drehenden Riesenkugel drin), daraus wird dann sehr schnell ein Kanal am Industriegebiet vorbei...

...und schließlich Dänemarks größter Wasserlauf, die Suså. Der mündet dann in den Karrebæk Fjord, den ich damit fast umrundet hätte.

So, ich könnte nun auch auf einem der stadtnahen Naturlagerplätze übernachten - aber so spät ist es nun auch wieder nicht. Vielleicht gibt es ja noch einen ein paar Kilometer weiter? Tatsache.

Spiegelbildlich gibt es auch auf dieser Seite des Fjords eine Brücke zu einer Insel. Aber sie könnte kaum unterschiedlicher sein. Diese alte Steinbrücke verbindet das Festland mit der schicken, ruhigen Schlossinsel Gavnø. Das Schloss bietet Gemälde und Antiquitäten, Bierverkostungen in der Schlossbrauerei, Schmetterlings- und Rosengarten.

Für Kinder ist auch ein Streichelzoo und Kletterwald dabei. Aber all das hatte an diesem Abend keine Chance gegen das simple Angebot der Insel Enø: Straaaand!

Die Ziegen leben in einem achteckigen Riesen-Holzrad zum Klettern.

Ortsschilder sind doch langweilig, fanden die Menschen in Vester Egesborg, und verkündeten den Namen ihres Dorfes mit solchen Wachtürmen.

Die Straße brachte mich dann noch an der Stejlebanke vorbei. Das ist aber keine Steilküste, zumindest ist vom Radweg keine zu erkennen, sondern nur ein grüner Hügel mit Blick auf den Dybsø Fjord im Sonnenuntergang.

An diesem Fjord folgte ich der Route auf einem Bogen durch die letzten Dörfer des Tages und suchte den Naturlagerplatz, und zwar diesmal wirklich. Er lag doch ein gutes Stück abseits der Route, aber dafür direkt am Wasser. Im Dorf Avnøgård sollte ich dorthin abbiegen. Komischer Name, die bewachen da also Avnø, was auch immer das ist... klingt fast wie eine Insel, aber die Karte sagt eindeutig, dass hier keine mehr kommt.
Entweder fahre ich ein Stück weiter, bis irgendwann eine Straße abzweigt, oder ich probiere es auf dem direkten, wilden Feldweg. Raten Sie mal, was ich ausprobiert habe.

Auf den ersten Metern war das auch noch ein Feldweg, dann wurde daraus ein Trampelpfad, auf dem ich schieben musste. Als ich ein Gatter über eine Viehweide öffnete, machte ich mir noch keine Sorgen, der Wegweiser markierte die Strecke als Wanderweg. Über Viehweiden bin ich schon oft rüber, und es war ja nicht so, als würde ich auf der Weide übernachten.
Doch diese Kühe waren anders. Sie wandten mir ihren Blick zu. Och süß, neugierige Tiere sind das. Einige kamen näher. Und noch mehr. Und noch näher.
Nach einer Minute war das nicht mehr so süß. Eine Stampede trampelte hinter mir her, als hätte ich versehentlich einen Kuh-Magneten eingepackt. (Dabei bin ich ganz sicher, dass ich ihn zu Hause gelassen habe!) Wurde ich schneller, wurden sie es auch, also ließ ich es lieber. Auch die Kühe vor mir formierten sich immer mehr zu einer Wand aus äußerst frechen Dönern mit Beinen. Es mussten gut und gerne hundert Stück sein, die mich jetzt umzingelt hatten. Ich hielt auf die vorderen Rinder zu und - ja, sie wichen zurück, na, ein Glück. Bald waren es die hinteren, die mir wieder mehr sorgen machten. Immer wieder musste ich sie zurückscheuchen, als sie nach meiner Tasche schnappten. Doch der Ausgang war endlich in Sichtweite. Ich hielt auf das rote Gatter zu und fragte mich, wie ich 100 Kühe auf einmal davon abhalten sollte, mit mir gemeinsam durch das Tor zu fliehen. Doch das versuchte zum Glück keine. So erreichte ich

Insel Nr. 16: Avnø


Hä, eine Insel? Warum steht das überall auf den Schildern?
Egal, puh, erstmal zur Naturschutzstation fahren.

Nach der Stampede war das ein überraschend zivilisierter Ort. Viele waren abends noch mit ihren Autos hier herübergefahren (vernünftigerweise auf der Straße) und liefen herum. Das kleine Gratismuseum war noch bis um neun geöffnet, und einige suchten die Toiletten darin. Ich suchte nach Antworten, was das hier denn nun für ein Ort ist.
Die Antworten waren zwar dänisch, aber ich verstand trotzdem: Das ist eine ehemalige Insel. 1845 war die Kuhweide, die ich durchquert habe, noch Teil der Ostsee. Aber ein Teil der Ostsee, an dem eine Dammanlage installiert wurde. Ja, so etwas hatte ich mir inzwischen fast gedacht. Bis zum Ende des Jahrhunderts war Avnø dann ans Festland angedockt. Mit einer Unterbrechung: Am 1. November (sie verraten komischerweise nicht, welches Jahr, aber es gab schon Schwarzweißfotos) flutete ein Sturm die Ex-Insel und aus Avnø wurde ein See namens (Achtung, dänisches Wortspiel!) Avn-sø.

Auch der Aussichtsturm war noch geöffnet und erfreute sich großer Beliebtheit. Allerdings nur die metallene Außentreppe, die kühle düstere Treppe innen wollte niemand nehmen - zu groß das Risiko, dass man da aus Versehen von Mitarbeitern der Naturstation eingeschlossen wird.
Von hier aus konnte ich die gesamte Ex-Insel überblicken. Sie ist größer, als ich dachte, und mehrere Wanderwege schlängeln sich um sie herum. Bis zum Naturlagerplatz ist es noch ein gutes Stück, und selbst das ist nur etwa die halbe Länge von Avnø.

Also dann, auf zum letzten Stück. Die Wanderwege über Avnø musste ich wieder größtenteils schieben. Ich kam vorbei an einem kleinen, schiefen Uferwäldchen, aber mein Ziel war der Wald ganz hinten an der Spitze.

Und zwar nicht nur mein Ziel! Als ich endlich in den Wald eintauchte, sah ich, dass richtig viele Dänen den Weg vom Parkplatz hierher auf sich genommen hatten, um ihr Wochenende an diesem Ort zu verbringen. Eine Gruppe junger Familienväter trank Bier und hackte Holz, andere Familien hatten sich schlafen gelegt (möglichst weit weg vom lautstarken Gehacke), und vier Seniorinnen tranken Sekt und plauderten an einem Campingtisch. Schön, dass diese Plätze wirklich so eifrig genutzt werden! Aber nachdem ich die letzten Tage immer völlig allein an den Schutzhütten war, fühlte ich mich doch etwas überrumpelt. Aber da war eben auch noch kein Wochenende, erklärte mir eine Seniorin freundlich.
Ob hier noch eine Hütte frei ist? Nee, nein, nope, die auch nicht, alle belegt, dabei waren es verdammt viele.

Ich drehte eine volle Runde um das Wäldchen und nahm auch noch Aussichtsturm am äußersten Ende mit. Nun, der Himmel war absolut wolkenlos, also bewaffnete ich mich mit Insektenspray gegen die Mücken und legte ich mich einfach unter den freien Himmel (möglichst weit weg vom lautstarken Gehacke der Familienväter, die inzwischen dazu übergegangen waren, ein Feuerwerk für ihre Kinder zu zünden). Bald kehrte Ruhe ein, und ich erwachte am nächsten Morgen leicht zerstochen, aber trocken und relativ erholt.


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