NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Dienstag, 26. Oktober 2021

Rügen: Von Altefähr zur Wittower Fähre

Rückblick: Rügen-Radtour 2020

Rügen I: Die Westküste

Das hier ist Deutschlands größte Insel, dargestellt als Brettspiel Die Siedler von Catan Radler von Rügen. (Man beachte die Platzierung des Seeräubers, für die es einen guten Grund gibt.) Im Laufe der Jahre war ich dort mit Bahn, Boot, Auto, zu Fuß und auch mit dem Rad unterwegs, aber wir sind nie komplett um die Insel gefahren. Dafür gibt es drei Gründe: Laut Karte radelt es sich da nicht so angenehm wie auf Poel oder Hiddensee, außerdem ist die Runde an einem Tag nicht zu schaffen und Übernachtungen sind teuer.
Dieses Jahr wollte ich aber doch mal auskundschaften, ob der Inselrundweg wirklich so doof ist, wie man sagt.

Um auf die Insel zu gelangen, muss der Reisende zunächst in die Stadt Stralsund fahren und dort die Meerenge Strelasund überqueren. (Offenbar hatte niemand eine Idee, wie man die Meerenge nennen könnte, deshalb wurde der Name Stralsund einfach ein bisschen durchgeschüttelt. Oder umgekehrt.)
Wie kommt man übers Wasser rüber? Da gibt es drei Möglichkeiten:
a) Die Fähre direkt von der Stralsunder Innenstadt. Vor langer Zeit die einzige Möglichkeit, auf die Insel zu gelangen, heute nur noch eine nette Möglichkeit für Tagestouristen zu Fuß oder per Rad.
b) Die hohe, hochmoderne Rügenbrücke, nur für Autofahrer
c) Der tolerante Rügendamm, der allen offensteht: Auto- und Bahnfahrern, Radlern und Fußgängern (nur Anglern nicht). Der Damm besteht aus drei Abschnitten: Zuerst stellt eine graue Klappbrücke sicher, dass Schiffe auch irgendwie durchkommen. Gerade wollte kein Schiff durch, deshalb war die Ampel grün.


Als nächstes läuft die Straße über die kleine Insel Dänholm. Hier befinden sich ein Marinemuseum und ein Ölwehrlager. Für die meisten Menschen ist Dänholm aber einfach nur das Sprungbrett zur Insel - vermutlich wissen 90 Prozent der Menschen, die Dänholm durchquert haben, gar nicht, das sie je auf einer Insel dieses Namens waren. Die Bahn hält hier auch nicht an.

Erst dahinter ist der Rügendamm ein richtiger Damm. Der wurde schon 1936 errichtet und im Zweiten Weltkrieg gleich wieder zerstört.
Der Fuß- und Radweg ist ein beliebter Angelplatz. Das führte zu Unfällen, weil die Angler mit ihren Haken weit ausholten und die Windschutzscheiben der Autos zertrümmerten. Deshalb wurde über das Geländer eine Angelweitwurfbegrenzung gebaut - in bester deutscher Tradition ein innovatives Stück Ingenieurskunst mit einem extralangem Wortgebilde als Namen. Jetzt kann man die Angel nur noch ohne Schwungholen nach unten hängen lassen.

Am anderen Ufer führt der Radweg unter der großen Rügenbrücken-Straße hindurch. Hier liegt der abscheulichste Bahnhof des Universums. Er sieht als, als würden ihn sämtliche Vögel der Insel als Toilette benutzen, und riecht, als würden sich sämtliche Gäste dort erstmal vor Freude, weil sie auf der Insel angekommen sind, in die Hose machen. Nur ohne Hose.

Das dazugehörige Dorf heißt Altefähr, besteht aus Feldsteinen, Ziegeln und Schilf und sieht sehr viel ansprechender aus als sein Bahnhof.

Zu Beginn der Rundfahrt hatte ich noch den Luxus, zwischen asphaltiertem Radweg an der Straße und festen Pfad am Wasser wählen zu können. Die feurige Strecke am Strelasund ist etwas länger, aber außergewöhnlich: Sie besteht ausschließlich aus Feuersteinen, gesäumt von windschiefen Büschen.

Danach wurde es weniger schön und ich musste über graue Betonplatten an grauen Bauernhäusern vorbeirumpeln.

Selbst das Kloster in Rambin erstrahlt in diesem grausamen Grau. Der Ratsherr Godeke von Wickede aus Stralsund hat es für Leprakranke errichten lassen. Vielleicht sollte die Fassade zu deren Gesichtsfarbe passen. Später lebten darin alte und hilfsbedürftige Menschen.


In Rambin befindet sich für viele Autofahrer die erste oder letzte Station, wenn sie nach Rügen fahren: Die Pommernkate. Dieses langgezogene, rote Holzhaus bewirtet die Rügenreisenden mit großartiger Marzipantorte und verkauft guten Räucherfisch (am besten schmecken nicht gleichzeitig verspeisen). Eine Mischung aus Restaurant und Bauernmarkt mit Spielplatz. Quasi Karls Erdbeerhof ohne Erdbeeren und Größenwahnsinn.

In Rambin bin ein Stück der Hauptstraße und der Bahn gefolgt. Aber eigentlich wollte ich ja am Meer entlang, also bog ich doch lieber links auf die Landstraße ab.

Rügen ist so groß, dass es früher mal ein eigener Landkreis war. Die Insel hat eine eigentümliche Form, die sich nicht mit einem banalen Wort wie rund oder länglich beschreiben lässt. Das Meer ist nicht nur außenrum, sondern auch überall drin. Immer wieder wechseln sich Halbinseln (wo das Land weit ins Meer ragt) und Bodden (wo das Meer tief ins Land ragt) ab.
Die erste Halbinsel (die mit dem Feuersteinweg) habe ich schon umrundet. Es folgt der Kubitzer Bodden. Der ist nur in der Ferne zu sehen.

Nach und nach verschwindet das grässliche Grau von den Wegen und Häusern. Die Bauernhäuser werden freundlicher, farbiger und fachwerkiger. Komm hinter der Hecke raus, Haus, du brauchst dich nicht zu schämen! Über dich schreibe ich nichts Gemeines.

Die zweite Halbinsel heißt Lieschow. Der Radweg führt dort nicht entlang, aber ich bin da vor Jahren mal mit der Familie spazieren gegangen. Die grünen Weidewiesen und gelben Bauernhäuser werden von einem Gürtel aus irritierend flachen Deichen und beigefarbenem Schilf stimmungsvoll eingerahmt.


Anschließend ragt, Sie werden es erraten, schon wieder ein Bodden ins Land hinein. Diesmal heißt er Koselower See (zumindest der größte Teil davon, denn jede winzig kleine Ecke des Meeres hat hier ihren eigenen Namen). Zu sehen ist diese See eigentlich nur, wenn man eine Rundfahrt um die Insel Ummanz einschiebt.
Nach diversen Dorfstraßen bin ich an einer größeren Allee herausgekommen. Links führt ein Radweg nach Ummanz, rechts nach Gingst.


Dieser Kleinstadt ist auf den ersten Blick nicht unbedingt anzumerken, dass sie auf einer extrem beliebten Urlaubsinsel steht - im Prinzip könnte ein Ort wie dieser genauso gut irgendwo in der Mecklenburger Festland-Pampa stehen. Nur die Übernachtungs- und Grundstückspreise sind wesentlich höher. Im Zentrum stehen eine wehrhafte Kirche und ein Buchladen, dessen Eigentümerin ein Buch darüber geschrieben hat, wie es ist, in Gingst einen Buchladen zu haben, um dieses Buch dann in ihrem Buchladen zu verkaufen. Clever.
Ein bisschen hängt der Ort noch im Mittelalter fest, denn Leute mit Adelstitel können im Edeka einfach an der Schlange vorbeigehen.

Neben dem Image als Bücherort hat Gingst noch eine Attraktion: Den Rügenpark. Das ist ein Freizeitpark mit einer Familienachterbahn und anderen kleineren Fahrgeschäften. Kleinere und mittelgroße Kinder haben dort Spaß, größere sind im Hansapark bei Lübeck besser aufgehoben.

Eine besonders markante Attraktion ist der Lunaloop. Diese gelben Kapseln fahren im Kreis und überschlagen sich gelegentlich, was bei den darin enthaltenen Kindern wahlweise Brechreiz oder Begeisterung auslöst. In seltenen Fällen beides zugleich.

Nach ein paar netten Feldwegen hat der Rügenrundweg seine erste doofe Stelle: Die Bundesstraße nach Trent. Wenn sogar die Wegweiser, die eigentlich nur die nächsten Ziele zeigen sollen, Achtung: Starker Verkehr! schreiben, dann muss da ja was dran sein, dachte ich. Abends war die Verkehrsdichte zwar noch im Rahmen, aber es wurde rasant gerast. Ich will nicht wissen, wie das tagsüber aussieht.

Puh, dachte ich in Trent, die Hälfte dieser Stressstraße habe ich geschafft.

Tatsächlich hatte ich schon die ganze Stressstraße geschafft, denn kurz hinter Trent liegen frische Radwege wieder im Trend. Sehr gut! Aber solange die Trenter Lücke nicht geschlossen ist, bleibt die Rügenrundfahrt eine abenteuerliche Strecke und nichts für Familien mit Kindern.

Zack, schon bin ich an der Spitze der letzten Halbinsel für heute. Dort liegt Schaprode.
Schaprode besteht aus ein paar Fischrestaurants, einem Zeltplatz und einem Riesenwiesenparkplatz. Bei diesem handelt es sich um einen Ort des Abschiedsschmerzes, denn hier müssen sich Autofahrer von ihrem geliebten Kraftfahrzeug trennen, wenn sie in die Fähre auf die autofreie Insel Hiddensee steigen.

Eine Landstraße führt zum Wasser hinauf. Hier beginnt schon wieder ein Bodden - aber dieser hier ist ein bisschen anders. Er ändert mehrmals seinen Namen, wird breiter und schmaler und ragt so weit in die Insel hinein, dass ich sein Ende erst übermorgen Nachmittag erreichen werde.
Ein fester Pfad folgt durch der wilden Natur am Ufer. Zwar wächst hier nur ein schmaler Streifen aus Wald, Gebüsch und Schilf, aber darin rascheln überraschelnd viele Tiere, selbst Rehböcke wagen sich abends hervor. In der Ferne blinkt schon der Leuchtturm am Kap Arkona.
Ein Badestrand ist das nicht, aber diese Boddenlandschaft hat ihren eigenen zauberhaften Reiz - so wie die ganze Westküste Rügens.
Dennoch wird der eine oder andere denken: Das ist jetzt aber nicht das, woran ich bei Rügen denke. Wo sind die mondänen Seebäder, weißen Strände und romantischen Kreideklippen? Antwort: Nicht hier. Auf Rügen ist nämlich das deutsche Ost-West-Verhältnis umgekehrt: Im Osten geht die Post ab und im Westen ist... etwas mehr Platz.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen