NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Dienstag, 26. Oktober 2021

Rügen: Von der Wittower Fähre nach Juliusruh

 Rügen II: Wittow

Es ist sieben Uhr morgens. Das Meer rauscht, der Wind pfeift und dunkle Wolken ziehen über den Himmel. In den nagelneuen weißen Ferienhäusern rührt sich nichts. Rügen schweigt. Doch schon seit 5 Uhr 50 fährt die Wittower Fähre unermüdlich hin und her, um ein paar müde Autofahrer und einen erstaunlich wachen Radler über den Bodden zu bringen. Also mich.


Nun befinde ich mich auf Wittow. Das ist eine Halbinsel - oder genauer gesagt, es ist zu 95 Prozent eine Insel, die nur durch ein dünnes Stück Land mit dem Rest von Rügen (dem Kernland oder Muttland) verbunden ist.
Hier führte mich ein gepflasterter Pfad zwischen Büschen, dem Meer und einem kahlen Acker entlang.

Später wird der olle Acker durch einen wilden Küstenwald abgelöst. Das macht mehr her.

Als nächstes folgt Wiek. Das besteht im Grunde aus denselben Bausteinen wie Schaprode: Ziegelhäuser mit Fischrestaurants, Schilfdächer, Kirche. Am Hafen erhebt sich eine lange graue Betonbrücke als Aussichtsplattform.

Dann bin ich versehentlich nach Großbritannien abgebogen, denn auf einmal herrschte Linksverkehr.

An zahllosen Hagebuttensträuchern vorbei radelte ich dicht am Wasser um den Bodden herum, bis die, ähm, historischen Fischerhäuser von Dranske am Horizont auftauchten. Später habe ich erfahren, dass es sich hierbei um einen Bahntrassenradweg handelt.

Dranske ist jetzt an sich nicht wunderschön, aber ich denke, im Urlaub lässt es sich hier am Strand schon ganz gut aushalten. Zumindest waren zahlreiche Windsurfer dieser Meinung.
Hinter Drankse hängt dann noch die lange Halbinsel Bug an Wittow dran. Der Strand dort ist unbesiedeltes Nationalpark-Gebiet und für Radler gesperrt. Weil Bug so flach ist, sind sogar die Hügel von Hiddensee dahinter zu erkennen. Mit dem Naturschutz läuft es aber nicht so gut: Die Wehrmacht baute dort in der Nazizeit einen Teerhafen, um mit dem Zeug neue Landebahnen auf die Halbinsel zu kleistern. Umweltgerechte Lagerung hatte für die im Krieg nicht die höchste Priorität. Seitdem tropft das krebserregende Zeug in Wasser und Boden und keinen kümmert es, weil der Ort so weit ab vom Schuss liegt.

Bisher konnte ich an der Südseite von Wittow direkt am Wasser radeln. Auf der Nordseite ist das erstmal anders. Da radeln die Radler in der Mitte zwischen braunen Äckern und grünen Wiesen. Das Wasser befindet sich vermutlich irgendwo hinter dem Wald links.

Nur langsam näherte ich mich dem Wald zwischen schönen Bauernhäusern, Zeltplätzen und einer Pizzeria, die leider erst um 18 Uhr öffnet.

Die Waldwege sind leider furchtbar sandig. In der neueren Auflage der Radkarte sind sie deshalb nicht eingezeichnet, nicht mal als Variante. Also wollte ich auf der Straße bleiben. Eigentlich. Bis mir ein Ruganer riet: "Sie können natürlich an der Straße fahren, aber da ist viel Verkehr. Oder Sie fahren ein Stück zurück und da rein in den Wald. Die Wege sind nachher aus fester Erde."
Leider hörte ich auf diesen Typen, der entweder keine Ahnung hatte, keine Radfahrer mochte oder "feste Erde" auf eine sehr ungewöhnliche Weise definierte. Nach mehreren Kilometern fluchen und schieben fand ich einen Ausgang aus dem Wald und gelangte zurück auf die Landstraßen.

Später gibt es doch noch einen brauchbaren Kiesweg, auf dem ich wirklich schön über der Steilküste fahren konnte. (Nur die letzten 100 Meter bestanden aus irgendeinem Grund aus Rindenmulch.) Die Küste wird immer steiler, noch ist sie aber mit Gras und Bäumchen bewachsen.

Hinter dem Rindenmulch stieß ich auf: Drei Leuchttürme, einen Imbiss, ein Restaurant, einen dieser motorisierten Mini-Pseudozüge für Urlauber und die Ruine der Jaromarsburg (hinter dem Turm hinten im Bild). Von der Burg sind nur noch ein paar Steinhaufen übrig, und die sind wegen Einsturzgefahr gesperrt.
Dieser Hotspot heißt Kap Arkona und gehört zur Ortschaft Puttgarten, die weiter landeinwärts liegt - nicht zu verwechseln mit dem Ort Puttgarden auf der Insel Fehmarn. (Ein Ehepaar aus Süddeutschland wollte mal in Puttgarten heiraten, vertippte sich am Navi und landete nicht am traumhaften Kap auf Rügen, sondern am rauen Fährhafen auf der Nebelinsel Fehmarn. Die Gäste warteten vier Stunden Autofahrt entfernt am korrekten Ort.)


Gleich drei Leuchttürme stehen dort, und immerhin zwei davon habe ich schon mal bestiegen. Der kleinere Schinkelturm ist rechteckig und enthält eine Kunstausstellung auf Ziegelwänden. Aktuell ist er geschlossen, ich war vor einigen Jahren dort oben.


Der größere Leuchtturm ist rund und bietet einfach nur ein klassisches, kahles Treppenhaus mit Aussicht an der Spitze. Reicht ja auch.
Dieses grüne, freundliche Land hoch über dem Meer sieht zwar schön aus, aber warum es zu einem solchen Touristenmagneten avanciert ist, erschließt sich von oben noch nicht wirklich. Dazu muss man nach unten gehen.


Wer nicht aufwärts, sondern lieber abwärts Treppensteigen möchte, kommt am Kap Arkona ebenfalls voll auf seine Kosten. Eine extrem lange, gerade Holztreppe führt hinunter zum Wasser.

Erst dann sind die zweitberühmtesten Kreidefelsen von Rügen (oder eigentlich von ganz Deutschland) zu sehen. Im Gegensatz zum berühmten Königsstuhl haben diese Kreideklippen keinen richtigen Wald und sehen ein bisschen nackt aus. Dass sie aus Kreide bestehen, habe ich den Schildern entnommen. Als ich zum ersten Mal dort war und ganz dicht heranging, dachte ich, die Klippe besteht aus einer Art hellgrauem Matsch.
Dafür ist das Kap Arkona schön offen und freundlich. Man darf sogar unterhalb der Klippe entlanglaufen, sofern man nicht über Pflock und Stein stolpert.


Zum Schluss wartet der schönste Streckenabschnitt auf Wittow. Der Weg bleibt direkt an der Steilküste, und er wird immer breiter und fester.

Auf dieser Strecke liegt noch ein Großsteingrab (also ein Haufen großer Steine) und das kleine, historische Fischerdorf Vitt mit seinen Schilfdächern.


Vitt hat eine Kapelle, die offenbar kürzlich renoviert und in einem dunklen Rosarot angemalt wurde. Bei dieser Farbe sehen die Anwohner rot: Wir wollen unsere historische, weiße Kapelle!, verkündet ein Transparent mit dazugehöriger Abbildung. Dazu ist die handwerkliche Ausführung nicht sehr meisterhaft. Letzteres kann ich nicht beurteilen, aber die weiße Farbe würde schon besser zu der Landschaft passen. Andererseits: Immer noch besser als das Grau von Rambin.

Der Radweg führt irgendwann zu einer größeren Straße, die eine weitere Ansammlung von Ferienhäusern durchquert. Diese Ansammlung heißt Juliusruh. "Ruh" herrscht an der Hauptstraße eher nicht, aber in den Nebenstraßen schon.
Die 95-Prozent-Insel Wittow ist hier zu Ende und geht in die nächste Halbinsel über. Das habe ich daran erkannt, dass es auf einmal sehr waldig wird. Mit Wald ist Wittow ja vergleichsweise spärlich ausgestattet.

Zum Schluss möchte ich auch erwähnen, dass es eine schöne Allee direkt von Juliusruh zurück nach Wiek gibt. Sie führt zwischen den Feldern durch das Hinterland und ist sehr angenehm und verkehrsarm. So lässt sich auch prima eine Rundfahrt nur um Wittow drehen.

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