NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Mittwoch, 27. Oktober 2021

Rügen: Von Sellin nach Lauterbach

 Rügen IV: Mönchgut und Südostküste

Hinter Sellin passiert die Straße einige Supermärkte und das Mönchguttor. Dieses seltsame Tor aus Holz und Schilf ist zwar außergewöhnlich breit, aber Radweg und Bahngleis haben trotzdem nicht mehr mit druntergepasst. Unter den geschnitzten Figuren befindet sich auch ein Mönch, welcher frohe Kunde bringt: Siehe, du betrittst hiermit die Halbinsel Mönchgut.
Dieser Hinweis ist tatsächlich ganz hilfreich, denn wer aus dieser Richtung kommt, erkennt die Halbinsel nicht gleich als solche.

Dann folgt direkt das dritte, ein bisschen weniger mondäne Seebad: Baabe. Es besteht aus einer doppelten Straße zum Strand, die gesäumt wird von einem Bäcker, dessen Warteschlange fast zurück nach Sellin reicht. An der Spitze der Straße stehen sich wie ultimative Erzfeinde zwei Strandkörbe gegenüber, in denen konkurrierende Strandkorbverleiher Strandkörbe verleihen.
Vor allem aber enthält die Straße ein Fahrradgeschäft, das sonntags geöffnet war. Nachdem ich mein Rad bis nach Baabe geschoben hatte, konnte ich dort eine Pumpe erwerben und die Reise fortsetzen.

Straße und Radweg durchqueren ein weiteres Waldstück, diesmal jedoch ein flaches.
Das vierte mondäne Seebad heißt Göhren und bietet eine sogenannte Bernsteinpromenade. Sie ist mit Steinen gepflastert, deren orangebraune Farbe entfernt an Bernstein erinnert. Die einzigen richtigen Bernsteine habe ich jedoch im Schaufenster eines Schmuckgeschäfts entdeckt.


Der Rest von Mönchgut hat keine richtigen Seebäder mehr, nur Zeltplätze, Dörfer und kleine Häfen. Am Strand von Lobbe ist die Form der Halbinsel zum ersten Mal zu erkennen, zumindest teilweise. Auf der Ostseite liegt ein langer, geschwungener Strand. Wer die Variante bis zur Südspitze von Mönchgut fährt, muss auf demselben Weg zurückkehren.

Zum Glück habe ich mir die Zeit für diese Variante genommen, denn dieser Radweg durch den Küstenwald ist die schönste Strecke auf Rügen. Es geht geradewegs durch dünne Bäumchen hindurch, die vor Wind und Sonne schützen. Der Strand ist nur wenige Meter entfernt. Dieser Strecke durch Süd-Mönchgut verleihe ich das Prädikat

🌟Ort, den ich meiner Familie mal als Tagesausflug empfehlen würde

Der Radweg führt eine ganze Weile so weiter, bis er in einem Dorf am Fuße des Lotsenbergs herauskommt.

Hier ist ein Teil der Westseite Mönchgutes zu sehen. Die Halbinsel ist manchmal so schmal wie die Schabe, hat aber auch zwei Ausläufer, wo es breiter wird, also quasi Halbinseln an der Halbinsel (und das Ganze nicht zu vergessen auf einer Insel). Auf dem größeren Ausläufer liegt das Dorf Groß Zicker, auf dem kleineren Klein Zicker. An Groß Zicker war ich schon längst vorbeigefahren, unten an der Spitze habe ich noch eine Runde durch Klein Zicker gedreht. Auf dem Hinweg bin ich entlang der Straße gefahren und sah Heugarben mit Ziegelsteinen neben sturmgepeitschten Ponys.

Auf dem Rückweg habe ich einen Radweg direkt an der stürmischen See entdeckt, der später allerdings sehr holprig wurde.


An der Wendeschleife neben der Spitze von Klein Zicker kehrte ich um. Es handelt sich um die spektakulärste Wendeschleife, die ich kenne, denn hinter ihr erhebt sich eine windumtoste Steilküste. Für Radfahrer ist hier Schluss, nur ein Wanderweg dreht noch eine Runde über den Klippen.

So viel zu diesem Umweg, der sich als ein Highlight der Rügenrundfahrt herausstellte. Den Rest der Strecke kannte ich bereits. Wer auf Süd-Mönchgut verzichtet, biegt in Lobbe rechts ab und muss einen kleinen Hügel bezwingen. Der Radweg dort befand sich noch im Bau, als ich damals dort gefahren bin, und war eigentlich abgesperrt. Aber alle anderen ignorierten das Schild mangels Alternative, also taten wir das auch. Mittlerweile müsste er fertig sein.

Der große Jasmunder Bodden liegt längst hinter uns. Wer oberflächlich auf eine Karte schaut, könnte meinen, die Insel hätte von jetzt an eine normale Form. Irrtum! Wieder einmal ragt ein Ausläufer der Ostsee weit in die Insel hinein, nämlich der Selliner See - nur ist dieses Gewässer so klein, dass man es leicht übersieht. Diese geographische Eigenheit hat große Auswirkungen auf das Portemonnaie des Reisenden. 
Denn dort befindet sich die mit großem Abstand kleinste Fähre auf all meinen Radreisen. Das Ding ist tatsächlich nur ein winziges Ruderboot, das randvoll mit Touristen besetzt wird. Für Fahrräder gibt es ein geringfügig größeres Boot.
Von dieser "Fähre nach Baabe" wurde ich vollkommen überrascht - und leider auch von den horrenden Preisen, die in umgekehrt proportionalem Verhältnis zur Größe und zur zurückgelegten Strecke stehen.
Eigentlich war es nur ein winziges Stück Wasser, doch das Boot war tatsächlich der einzige Weg hinüber - es half also nichts, Zähne zusammenbeißen und bezahlen.


Wer die Fähre nicht bezahlen will, muss einen erheblichen Umweg über Baabe, Sellin, um den Selliner See und durch den Wald auf sich nehmen.

Mehr Glück hatte ich in Seedorf am Neuensiener See. Den konnte ich problemlos auf einer Brücke überqueren.


In dieser sandigen Hügellandschaft trainierten Motorsportler. Ich musste da zum Glück nicht durch und radelte einfach auf einem bequemen Asphaltweg vorbei.

Dann wird die Küste normaler. In den Buchten liegen hochgradig herausgeputzte Dörfer namens Muglitz und Stresow, die sich gut auf Touristen eingestellt haben.

Schilfdächer, weiße Fassaden und verrottende Ruderboote? Wir befinden uns an der Ostsee, kein Zweifel!

In Groß Stresow steht ein niedliches Häuschen mit einem weniger niedlichen Namen: Verräterhaus.
1715 gehörte die Insel Rügen zu Schweden und Preußen wollte sie mit Dänemarks Unterstützung zurückerobern. Bei der Schlacht stand nun der Verräter namens Johann Meußling mit einem Bettlaken auf dem Dach seine Hauses (das Originalhaus wurde aber längst abgerissen) und wies den Schiffen damit den Weg durch den Bodden zu einem günstigen Landeplatz. Dadurch eroberten die Preußen Rügen, traten es aber wenig später bei einem Friedensvertrag wieder an Schweden ab, sodass Meußen innerhalb der Dorfgemeinschaft zum gemobbten Verräter wurde. Die Ruganer waren wohl eher proschwedisch eingestellt, selbst deutschsprachige Dichter schrieben ihm Schmähgedichte (Disstracks, wie man wohl heute sagen würde) und waren entsetzt, wie heimtückisch Meußling mit nichts als seinem Bettzeug die Geschichte verändert hatte.
Die Statue vor dem Haus zeigt den damaligen König Friedrich Wilhelm I. von Preußen a. k. a. Soldatenkönig.

In den Dörfern leben auch Ziegen und Schafe - hier sind ein paar davon ausgebüchst.


Andere Teile des hügeligen Weges sind nicht besiedelt, sondern bewaldet. Am Wegesrand entdeckte ich einen Meditationspfad (für Fahrräder verboten).

Auch Hügelgräber mit fetten Findlingen befinden sich im Rügener Gehölz.

Einige der Bäume sind umgekippt und im Meer gelandet. Das Ergebnis dieser unvollständigen ökologischen Seebestattung dient heute als Abenteuerspielplatz in Form eines waagerechten Kletterbaums für Kinder, die beim Fahrradfahren längst nicht all ihre Energie verbrauchen.


Weil ich den Weg von Göhren nach Lauterbach schon kannte, habe ich ihn mit einem Dampfzug übersprungen, der gleich drei verschiedene Namen hat: Rügensche Bäderbahn, Pressnitztalbahn und (am bekanntesten) Rasender Rumpelnder Roland - rasen tut der Zug jetzt wirklich nicht, aber er hat mich pünktlich in einer Stunde ans Ziel gebracht, und das für halb so viel Geld, wie beispielsweise der Dampfzug im Harz kostet. Auch mein Rad durfte mitfahren, nachdem ich es zusammen mit einem Mitarbeiter in den leeren Gepäckwagen gehievt hatte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen