NEU: Die andere Strecke durch Dänemark - mit opportunistischer Mikro-Insel

Alsternative: Von Flensburg nach Svendborg

Freitag, 6. August 2021

Alsternative: Von Avnø nach Sundby

Ich verließ Avnø diesmal ordnungsgemäß über die Straße und hatte keinen weiteren Kontakt mit Kühen, dafür aber kurz darauf mit Truthähnen. Die waren bei Weitem nicht so aufdringlich und lebten auf einem einsamen Bauernhof, an dem ich auf einem Kiesweg vorbeikurvte, bis ich endlich wieder an der Straße rauskam.


So kam ich noch morgens in Vordingborg an und betrat eine einfache Ziegelzone für Fußgänger. Das Stadttor steht nicht mehr, oder vielmehr nur noch in verkleinerter Form.

Aber vom Haus dieses Herrn hier, König Valdemar Atterdag, ist zumindest noch ein bisschen was übrig. Seine Tochter vereinigte übrigens später in Schweden ganz Nordeuropa, aber bis wir zu ihr kommen, dauert es noch etwas.
Zu Atterdags Zeit war Vordingborg der Sitz der dänischen Könige (und damit logischerweise die größte der ganzen Königsburgen). Der olle Steinhaufen, echt?

Ja, diese Königsburg war nicht einfach nur so da für den Fall, dass der König mal da sein sollte, nein, der hat wirklich mitten in diesem Städtchen gewohnt. Und die Burg kräftig ausbauen lassen mit einer fast 800 Meter langen Mauer und neun Türmen gegen alle Feinde, die eventuell vorbeigesegelt kommen. Die Hanse zum Beispiel hatte ihm gerade den Krieg erklärt, aber Valdemar Atterdag nahm die nicht so richtig ernst. Um sie zu verspotten, schraubte er eine goldene Gans auf die Spitze des Gänseturms - ungeachtet der Tatsache, dass sein Name selbst ein bisschen wie das Geschnatter einer Gans klang. Kein Wunder, dass sich seine Nachfolger lieber Valdemar der Große und Valdemar der Sieger nannten.
Die Ruine gehört zum Typ Ein Turm zum Besteigen und ein paar verfallene Mauern. Aber die historische Bedeutung reicht aus, damit sich Danmarks Borgcenter darin befindet, in dem eine Spezies mit kollektivem Bewusstsein die Assimilierung Dänemarks plant. Und damit sich der Ostseeradweg in einem Umweg einmal um die ganze Burginsel windet.

So. Jetzt könnte ich dem dänischen Ostseeradweg an der Südküste Seelands noch 22 Kilometer folgen und käme dann in Kalvehave raus. Aber was dann? Von dort lässt es sich nur schlecht abreisen, und nochmal dieselbe Strecke über Møn wie 2019 muss ich jetzt auch nicht unbedingt fahren, dann lieber etwas Neues.
Es gibt ja noch die Ausweichroute Vordingborg (für den Fall, dass die Bogø-Fähre nicht fährt oder man nicht nach Møn will). Dazu muss ich erstmal eine kurze Brücke mit Straßen, Schienen und Radweg finden, die eine Etage über den anderen Straßen verläuft. Sie brachte mich über eine kleine Meerenge auf

Insel Nr. 16: Masnedø


Wieder so eine Insel als Brückenstütze? Ja, aber eine, die mich maßlos verwirrt hat. Die Straße zur nächsten Brücke war gesperrt, und Baustellenschilder wiesen mich hierhin und dorthin. Auf dem hügeligen Eiland liegen Industriegebäude, und hinten ragt eine Festung auf, die in alten Zeiten die Passage über den Storstrømmen überwachen sollte.
Dann sah ich es. Der große Damm, auf dem eigentlich die Straße verlaufen sollte, endete in einer Brücke. Das heißt, anfangs war es noch eine Brücke, aber irgendwann standen nur noch Pfosten im Wasser, und Kräne, die Stück für Stück Dinge an diesen Pfosten befestigten.
Nee, ne? Sag jetzt nicht, die Brücke wird neu gebaut und ist gesperrt. Dann muss es doch irgendeine Fähre oder einen Ersatz geben, irgendwie muss man hier doch rüber an dieser wichtigen Stelle... obwohl, stimmt ja, ganz in der Nähe ist ja noch die Autobahnbrücke. Das wäre ja ein Ersatz. Auf den ich halt nur nicht rauf darf. Mist. Aber hier auf Masnedø fahren so viele Autos, die werden doch nicht alle diese Insel ansteuern, oder ist hier echt so viel Industrie?

Nein, Moment, da sind zwei Brücken, alt und neu. Ein eindrucksvoller Anblick, obwohl alles so weit weg ist, dass ich in meinen Augen doch gern eine Zoomfunktion hätte. Schon 2025 soll die neue Brücke fertig sein, versprach ein Poster. Ob die das auch auch wegen des Fehmarnbelttunnels bauen? Hm, eher nicht, die meisten aus dem Tunnel kommenden werden doch eh die Autobahnbrücke benutzen.

Nein, die bauen die wahrscheinlich nur neu, weil die alte Storstrømmenbrücke richtig, richtig oll ist. Das hier ist nicht nur die längste Brücke Dänemarks, die ich mit dem Rad (nicht mit dem Zug) befahren darf, sondern auch die heruntergekommenste. Alles rostet und bröckelt vor sich hin. Der Beton unter dem Geländer sieht völlig angeknabbert aus, an manchen Stellen ist fast alles weg, nur noch eine kleine Schicht stützt die Metallstäbe.
Der Wind packte mich von der Seite und schob mich sanft in Richtung Geländer - zum Glück nicht das Geländer zum Wasser, sondern das zur Straße, was mir geringfügig lieber war. Der Boden war immerhin relativ eben, nur hin und wieder hüpfte ich über eine rostige Platte.
Normalerweise wird bei einer neuen Brücke die alte weitergenutzt für Züge, Fahrräder und entschleunigte oder den Stau umfahrende Autofahrer. Aber hier habe ich große Zweifel, ob sich das verantworten lässt.

Etwas erleichtert erreichte ich

(Noch einmal Insel Nr. 7: Falster)

So. Jetzt könnte ich der Ausweichroute Vordingborg an der Nordküste Falsters noch 17 Kilometer folgen und käme dann in Stubbekøbing raus. Aber was dann? Von dort lässt es sich nur schlecht abreisen, und nochmal dieselbe Strecke über Ostfalster wie 2019 muss ich jetzt auch nicht unbedingt nochmal fahren, dann lieber etwas Neues.
Es gibt ja noch die... hm, was gibt es denn hier noch? Ah, ich weiß was! Aber dazu muss ich erstmal über die nordwestliche Ecke von Falster. Diese Ecke von Falster ist am hügeligsten und nicht sehr schattig. Die App markiert zwar auch eine Strecke namens Falster rundt durch die Dorfstraßen, aber ich blieb lieber auf dem direkten Hauptstraßen-Radweg. 

Mööp, durch die neue Brücke und andere Baustellen war ein Stück gesperrt, und so bekam ich doch noch ein unauffälliges Dorf zu Gesicht. Aber dann konnte ich durchsausen.

Neue Brücke, neues Glück! Diesmal ist es keine Riesenbrücke, aber dafür ist sie ganz einfach geöffnet und ich kann direkt rüberfahren. Mensch, das hatte ich das letzte Mal, als ich vom Festland nach Als rübergefahren bin.
Hier beginnt der Guldborgsund, und auf seiner anderen Seite liegt bekanntlich

(Noch einmal Insel Nr. 8: Lolland)


Um den Guldborgsund zieht sich ein lokaler Radrundweg namens Sundruten, der mir auch schon in einem Reiseführer empfohlen wurde. Und damit noch ein bisschen mehr Insel-Abwechslung aufkommt, habe ich mich für die Lolland-Hälfte statt die Falster-Hälfte des Rundwegs entschieden. Ob das eine gute Wahl war?
Erst einmal muss ich jedenfalls noch ein bisschen der Straße durch Guldborg folgen. Das ist also das Örtchen, nach dem der Sund benannt wurde. Ist hier irgendwas Goldenes? Nun ja, ein paar gelbe Häuser. Und zwei gelbe Rennradfahrer. Und zwei weitere, noch zwei, und nochmal vier, oha, was ist das für eine Armee? Jetzt weiß ich, woher der Sund wirklich seinen Namen hat. Von einem Schwarm Riesenbienen, die ihre Passion für Rennräder entdeckt haben.

Aber auch, als ich auf eine kleinere Straße abbog, hielt das Meer respektvoll Abstand. Was habe ich erwartet? Wenn schon der Ostseeküsten-Radweg oft so aussieht, wird es auf den lokalen kurzen Routen wohl kaum anders sein.

Die einzige Stelle, wo ich dem Guldborgsund nahekam, war die hier. Dort bog ich zwischen einem Pumpenhaus und sumpfigen Teichen ab auf einen holprigen Kiesweg. Das Ufer war mit Gras und Schilf zugewachsen.
So, hier muss doch jetzt irgendwann die nächste Brücke kommen. Vielleicht kann ich da ja wieder auf die andere Insel wechseln und beide Sundseiten ausprobieren?
Ich holperte hinaus in Richtung einer zugewachsene Landspitze voller Hecken und Schilf. Komisch, ich sah immer noch keine Brücke. Dabei glaubte ich sogar schon, das Rauschen zu hören.

Die Hecken lichteten sich, und neben mir erschien eine Autobahn. Ach Mensch, natürlich konnte ich da nicht rüberwechseln (das können Radfahrer nur am Anfang und Ende des Sunds). Gemeinsam mit der Autobahn strebten wir auf die Spitze im Wasser zu, wo ich immer noch keine Brücke sehen konnte.
Es gab ja auch keine. Es gab einen Tunnel. Ich Trottel, dabei war ich doch sogar schon auf dieser Autobahn unterwegs! Der ganze Verkehr verschwand unter einem rostigen, gewellten Blech unter der Erde.

Diese dicken Bleche halten die ganze künstliche Landspitze zusammen und drängen die Pflanzen zurück. Auf der anderen Seite kommt der Tunnel auf einer ähnlichen Spitze wieder heraus. Die haben sich aber nicht gerade die schmalste Stelle ausgesucht. Weiter südlich bei Sundby sieht der Guldborgsund aus wie ein Fluss, aber hier tendiert er schon eher in Richtung Meer.

Zum Schluss leitete mich die Sundruten durch einen hübschen, hellen Wald mit gemütlichen kleinen Mulden. Das Wasser blitzte auch hier nur selten und kaum erkennbar durch die Bäume, aber wen kümmert das, wenn der Weg so aussieht?

So. Jetzt bin in Sundby am Middelaldercentret, gleich neben Nykøbing/Falster herausgekommen. Diesmal wirklich. Und damit ist dann auch wirklich gut mit der dänischen Ostsee.
Aber nicht mit der dänischen Nordsee! Die steht auch noch auf dem Plan, und auf die freue ich mich sehr.

Donnerstag, 5. August 2021

Alsternative: Von Korsør nach Avnø

Als nächstes schiebt Dänemark wieder eine unwegsame, aber schöne Waldstrecke ein. Zwar nicht direkt am Meer, aber der Schatten war trotzdem sehr willkommen. Eine Tafel erzählt eindrucksvoll bebilderte Sagen über die Trolle und Elfen, die angeblich in diesem Trolldeskoven leben, leider nur auf dänisch.
Ich kochte mir eine Mahlzeit auf einem Rastplatz, als auf einmal jemand aus dem benachbarten Restaurant kam und mir einen Kaffee anbot. Aber die Temperatur war gerade absolut nicht passend für Heißgetränke, außerdem war ich nicht ganz sicher, ob er das jetzt gratis meinte oder mich zu einem Restaurantbesuch im Trolldeskoven überreden wollte. Oder nur getrollt hat.

Dann wollte ich aber lieber ein bisschen was abkürzen, wofür sich der Radweg an der Hauptstraße bestens eignete. Nur mit Schatten war da absolut gar nix mehr.

In Skælskør konnte ich ein Stück am Ufer des Noret radeln. Der Reiseführer sagt, das sei das größte Binnengewässer Dänemarks. Aber weil der See auf Lolland ja schon das größte Süßwassergewässer ist, ist das Ding offenbar über den nahen Fjord mit Salzwasser gefüllt. Außerdem verortet der Reiseführer den Noret eher bei Korsør und verwechselt ihn eventuell mit dem Korsør Nor - so bekannt kann das Gewässer dann ja nun auch wieder nicht sein.

Als sich die offizielle Route wieder dem Meer näherte, bin ich auf die kleinen Zickzack-Alleen abgebogen.

Wenn diese Alleen besonders alt aussehen, folgt meistens ein Schloss. In diesem Fall brachte mich eine Ziegelbrücke rüber zum relativ niedrigen, aber langgestreckten Schloss Holsteinborg. Gebaut hat das Graf Ullrich von Holstein, und den Nachkommen gehört der Bau noch immer. Hier wurde Dänemarks erster Weihnachtsbaum angezündet, und Hans Christian Andersen war so oft zu Besuch, dass er sein persönliches Dauergästezimmer bekam.

Ich bin zufälligerweise nicht Hans Christian Andersen, daher zeigte sich das Schloss nicht ganz so gastfreundlich. Die Räume sind privat, aber der Park soll das ganze Jahr über geöffnet sein. Nur wo? Ich holperte von einem Innenhof zum nächsten und landete nur in Sackgassen, in denen Steine die Sommerhitze ausdünsteten. Keine Spur von kühlendem Grün.

Erst ein Stück hinter der Brücke entdeckte ich einen Zugang. Ein Schild warnt: Ja, ihr dürft rein, wenn ihr euch benehmt, aber vergesst bloß nicht, dass das alles privat ist, und Radfahren geht schon mal gar nicht.

Im Küstendorf Bisserup entdeckte ich eine öffentliche Toilette und blockierte sie eine ganze Weile, denn ich musste meinen Kochtopf noch richtig ausspülen. Anschließend musste ich mich selbst richtig ausspülen, und dafür wartete hinterm Dorf die perfekte Gelegenheit. Ich schloss das Rad im Wald an und kraxelte einen Meter Steilufer herunter.

Wurde dieses Bild in Dänemark aufgenommen oder doch auf einem Archipel im Südpazifik?
Der eine Meter steile Erde verwandelte sich in der Ferne in eine helle Steilküste, wie ich sie an der Flensburger Förde gesehen habe. Ich musste zwar erst über einen Gürtel angespülter Algen steigen, doch dann wurde das Wasser glasklar und die Aussicht geradezu exotisch schön. Die Buhnen aus dicken Steinen lagen bereit, um nichtvorhandene Wellen zu brechen - die heiße Luft flappte nur träge übers Meer, und es gab nichts Besseres, als komplett in dieser blauen Oberfläche zu versinken. Ist das Lolland in der Ferne?
Schwer zu sagen, hier hatte ich zur Abwechslung mal wieder ein Stück offenes Meer.

Auf der nächsten Waldstrecke ereignete sich folgendes:
Bonk!
Etwas unerwartet Schweres prallte an meinem Helm ab. Nanu? Hat etwa dieses kleine Insekt dieses laute Bonk verursacht? Und war das Absicht? Auf jeden Fall landete es sehr zielgerichtet auf meiner Lenkertasche und surfte nun auf meiner Muskelkraft durch den Wald. Der kleine Schnorrer durfte gern mitfahren, aber als der Wald zu Ende war, ließ ich ihn doch lieber abspringen - bis nach Deutschland mitfahren wollte er bestimmt nicht.
In diesem Wald hätte ich irgendwo übernachten können, aber wieso? Der Tag ist ja noch lange nicht vorbei, die nächste Stadt schaffe ich auf jeden Fall noch.

Aus der Waldstrecke wurde eine Schilfstrecke. Heißt: Ebenso viel Natur, null Schatten.
Ebenso viel Natur? Nicht immer, denn im 18. Jahrhundert waren das Kornfelder. Es ist nicht so einfach zu erkennen, denn auf den Hochäckern konnten die Bauern den Pflug nur schwer umdrehen. Sie betrieben Landwirtschaft nach dem Motto: Wenn möglich, nicht wenden! Heißt: Ihre Äcker waren besonders lang und schmal, und weil sie immer wieder dieselbe Linie durchpflügten, wurden die Rinnen und Wellen im Boden immer tiefer.
Irgendwer hatte den Weg mit einer Kette zugehängt, auf die ein Plastikpoller gefädelt war, und ich musste drumherum schieben. Damit war die Naturstrecke erstmal wieder vorbei.

Und zwar richtig vorbei. Nach ein paar Nebenstraßen über die Hügel landete ich unvermittelt im Seebad Karrebæksminde. Schon dort war es deutlich voller. Vielleicht ist es hinter der Klappbrücke auf die Insel Enø besser?

Nein. Enø ist der Badestrand der nächsten Stadt, und offenbar hatten sämtliche Einwohner beschlossen, den Abend hier zu verbringen. Das hier war der vollste Strand, den ich je in Dänemark gesehen hatte, und damit die Fußgänger nicht auf die Straße geraten, waren extra Zäune aufgestellt worden, als wäre hier irgendein Festival oder sonst irgendeine Veranstaltung im Gange. Eine Veranstaltung namens "Ach Schatz, lass uns doch heute Abend mal wieder an den Strand fahren, die Kinder freuen sich bestimmt auch."

Wenn der Strand voll ist, dann ist die Stadt vielleicht leer? Mal sehen. Der Weg dorthin war jedenfalls schon mal super, immer an der Straße am Karrebæk Fjord lang.

Seltsamerweise führt der Weg in die Niederlande. Wo sonst gibt es Fahrrad-Kreisverkehre im Inneren der Auto-Kreisverkehre?

Die Stadt Næstved (Gesundheit!) ist die größte Stadt auf Südseeland. (Für ganz Seeland hat es nicht gereicht, da gibt neben ein paar anderen ja noch einen gewissen Konkurrenten namens Kopenhagen, der relativ schwer zu übertreffen ist.) Kleine Mönchsfiguren überall erinnern an das Kloster, von dem noch die Kirche übrig ist. Das waren aber nicht solche reichen Mönche, die wie Adlige die ganze Stadt gründen und beherrschen, sondern Bettelmönche der Franziskaner, die von den Spenden der Bürger abhängig waren.

Nach der Reformation löste sich das Kloster auf, und die Bürger durften mit den Gebäuden tun, was sie wollten. Anscheinend herrschte in Næstved (Gesundheit!) kein Immobilienmangel, sondern eher Platzmangel, denn sie trugen alles ab und machten einen Marktplatz draus.
Das Ergebnis ist... ungewöhnlich. In der Mitte befinden sich nicht etwa so langweiliges Standardzeug wie Brunnen oder große Statuen, sondern eine Minigolfbahn und die Zufahrt zu einer Tiefgarage, und direkt daneben die Treppe zu einer hässlichen öffentlichen Toilette.

Als ich aber der Spur des Wassers aus der Stadt hinaus folgte, wurde es sofort parkartiger und schöner. Eigentlich wirkt Næstved fast naturverbundener als sein Bade-Vorort vorhin. Vom Kloster plätschert ein Wasserlauf abwärts (mit so einem Brunnen mit einer drehenden Riesenkugel drin), daraus wird dann sehr schnell ein Kanal am Industriegebiet vorbei...

...und schließlich Dänemarks größter Wasserlauf, die Suså. Der mündet dann in den Karrebæk Fjord, den ich damit fast umrundet hätte.

So, ich könnte nun auch auf einem der stadtnahen Naturlagerplätze übernachten - aber so spät ist es nun auch wieder nicht. Vielleicht gibt es ja noch einen ein paar Kilometer weiter? Tatsache.

Spiegelbildlich gibt es auch auf dieser Seite des Fjords eine Brücke zu einer Insel. Aber sie könnte kaum unterschiedlicher sein. Diese alte Steinbrücke verbindet das Festland mit der schicken, ruhigen Schlossinsel Gavnø. Das Schloss bietet Gemälde und Antiquitäten, Bierverkostungen in der Schlossbrauerei, Schmetterlings- und Rosengarten.

Für Kinder ist auch ein Streichelzoo und Kletterwald dabei. Aber all das hatte an diesem Abend keine Chance gegen das simple Angebot der Insel Enø: Straaaand!

Die Ziegen leben in einem achteckigen Riesen-Holzrad zum Klettern.

Ortsschilder sind doch langweilig, fanden die Menschen in Vester Egesborg, und verkündeten den Namen ihres Dorfes mit solchen Wachtürmen.

Die Straße brachte mich dann noch an der Stejlebanke vorbei. Das ist aber keine Steilküste, zumindest ist vom Radweg keine zu erkennen, sondern nur ein grüner Hügel mit Blick auf den Dybsø Fjord im Sonnenuntergang.

An diesem Fjord folgte ich der Route auf einem Bogen durch die letzten Dörfer des Tages und suchte den Naturlagerplatz, und zwar diesmal wirklich. Er lag doch ein gutes Stück abseits der Route, aber dafür direkt am Wasser. Im Dorf Avnøgård sollte ich dorthin abbiegen. Komischer Name, die bewachen da also Avnø, was auch immer das ist... klingt fast wie eine Insel, aber die Karte sagt eindeutig, dass hier keine mehr kommt.
Entweder fahre ich ein Stück weiter, bis irgendwann eine Straße abzweigt, oder ich probiere es auf dem direkten, wilden Feldweg. Raten Sie mal, was ich ausprobiert habe.

Auf den ersten Metern war das auch noch ein Feldweg, dann wurde daraus ein Trampelpfad, auf dem ich schieben musste. Als ich ein Gatter über eine Viehweide öffnete, machte ich mir noch keine Sorgen, der Wegweiser markierte die Strecke als Wanderweg. Über Viehweiden bin ich schon oft rüber, und es war ja nicht so, als würde ich auf der Weide übernachten.
Doch diese Kühe waren anders. Sie wandten mir ihren Blick zu. Och süß, neugierige Tiere sind das. Einige kamen näher. Und noch mehr. Und noch näher.
Nach einer Minute war das nicht mehr so süß. Eine Stampede trampelte hinter mir her, als hätte ich versehentlich einen Kuh-Magneten eingepackt. (Dabei bin ich ganz sicher, dass ich ihn zu Hause gelassen habe!) Wurde ich schneller, wurden sie es auch, also ließ ich es lieber. Auch die Kühe vor mir formierten sich immer mehr zu einer Wand aus äußerst frechen Dönern mit Beinen. Es mussten gut und gerne hundert Stück sein, die mich jetzt umzingelt hatten. Ich hielt auf die vorderen Rinder zu und - ja, sie wichen zurück, na, ein Glück. Bald waren es die hinteren, die mir wieder mehr sorgen machten. Immer wieder musste ich sie zurückscheuchen, als sie nach meiner Tasche schnappten. Doch der Ausgang war endlich in Sichtweite. Ich hielt auf das rote Gatter zu und fragte mich, wie ich 100 Kühe auf einmal davon abhalten sollte, mit mir gemeinsam durch das Tor zu fliehen. Doch das versuchte zum Glück keine. So erreichte ich

Insel Nr. 16: Avnø


Hä, eine Insel? Warum steht das überall auf den Schildern?
Egal, puh, erstmal zur Naturschutzstation fahren.

Nach der Stampede war das ein überraschend zivilisierter Ort. Viele waren abends noch mit ihren Autos hier herübergefahren (vernünftigerweise auf der Straße) und liefen herum. Das kleine Gratismuseum war noch bis um neun geöffnet, und einige suchten die Toiletten darin. Ich suchte nach Antworten, was das hier denn nun für ein Ort ist.
Die Antworten waren zwar dänisch, aber ich verstand trotzdem: Das ist eine ehemalige Insel. 1845 war die Kuhweide, die ich durchquert habe, noch Teil der Ostsee. Aber ein Teil der Ostsee, an dem eine Dammanlage installiert wurde. Ja, so etwas hatte ich mir inzwischen fast gedacht. Bis zum Ende des Jahrhunderts war Avnø dann ans Festland angedockt. Mit einer Unterbrechung: Am 1. November (sie verraten komischerweise nicht, welches Jahr, aber es gab schon Schwarzweißfotos) flutete ein Sturm die Ex-Insel und aus Avnø wurde ein See namens (Achtung, dänisches Wortspiel!) Avn-sø.

Auch der Aussichtsturm war noch geöffnet und erfreute sich großer Beliebtheit. Allerdings nur die metallene Außentreppe, die kühle düstere Treppe innen wollte niemand nehmen - zu groß das Risiko, dass man da aus Versehen von Mitarbeitern der Naturstation eingeschlossen wird.
Von hier aus konnte ich die gesamte Ex-Insel überblicken. Sie ist größer, als ich dachte, und mehrere Wanderwege schlängeln sich um sie herum. Bis zum Naturlagerplatz ist es noch ein gutes Stück, und selbst das ist nur etwa die halbe Länge von Avnø.

Also dann, auf zum letzten Stück. Die Wanderwege über Avnø musste ich wieder größtenteils schieben. Ich kam vorbei an einem kleinen, schiefen Uferwäldchen, aber mein Ziel war der Wald ganz hinten an der Spitze.

Und zwar nicht nur mein Ziel! Als ich endlich in den Wald eintauchte, sah ich, dass richtig viele Dänen den Weg vom Parkplatz hierher auf sich genommen hatten, um ihr Wochenende an diesem Ort zu verbringen. Eine Gruppe junger Familienväter trank Bier und hackte Holz, andere Familien hatten sich schlafen gelegt (möglichst weit weg vom lautstarken Gehacke), und vier Seniorinnen tranken Sekt und plauderten an einem Campingtisch. Schön, dass diese Plätze wirklich so eifrig genutzt werden! Aber nachdem ich die letzten Tage immer völlig allein an den Schutzhütten war, fühlte ich mich doch etwas überrumpelt. Aber da war eben auch noch kein Wochenende, erklärte mir eine Seniorin freundlich.
Ob hier noch eine Hütte frei ist? Nee, nein, nope, die auch nicht, alle belegt, dabei waren es verdammt viele.

Ich drehte eine volle Runde um das Wäldchen und nahm auch noch Aussichtsturm am äußersten Ende mit. Nun, der Himmel war absolut wolkenlos, also bewaffnete ich mich mit Insektenspray gegen die Mücken und legte ich mich einfach unter den freien Himmel (möglichst weit weg vom lautstarken Gehacke der Familienväter, die inzwischen dazu übergegangen waren, ein Feuerwerk für ihre Kinder zu zünden). Bald kehrte Ruhe ein, und ich erwachte am nächsten Morgen leicht zerstochen, aber trocken und relativ erholt.


Mittwoch, 4. August 2021

Alsternative: Von Nyborg nach Korsør

Was für ein passender Einstieg: Ein Bahnradweg brachte mich rein nach Nyborg, vom Wald in die Gassen der Vorstadt...


...immer wieder ins Grüne und wieder mitten über die zentralen Kreuzungen der Stadt, das Ganze auch noch neben einem Gleis. Das hatte was von einem Straßenbahnradweg.

Hier müsste doch irgendwo das Schloss sein, oder? Och, nur noch dieses kurze Gebäude, mehr ist nicht übrig? Da ist ja der Seerosenteich größer. Gegen Schloss Kolding oder Sønderborg sieht es recht mickrig aus, dafür ist deutlich älter.
Es war eine Residenz des Königs, aber gut, das gilt gefühlt für jedes zweite Schloss Dänemarks. Doch in dieser speziellen Residenz versammelte er 200 Jahre lang an bestimmten Tagen den Danehof, das mittelalterliche Parlament. Nyborg ist quasi das Worms von Dänemark. Das wichtigste Treffen war 1282, denn hier unterschrieben die Adligen das erste Grundgesetz des Landes. Es ist nicht mehr dieselbe Verfassung wie heute, die wechselte in den Jahrhunderten zusammen mit den Formen der Monarchie öfter mal durch. Aber dass man grundsätzlich erstmal eine braucht, war in Dänemark schon viel länger klar als in Deutschland. Es ist zum Beispiel das einzige Land Europas, das im Absolutismus eine Verfassung hatte (wobei da auch nur drinstand "Wir sind eine absolute Monarchie.")

Solange man nicht in die Fußgängerzone abbiegen möchte, ist Nyborg eine super Fahrradstadt voller Kreisverkehre.

Hinter dem letzten befindet sich dann ein unscheinbares weißes Bahnhofsgebäude. Die Züge starten eine Etage höher. Ich hatte noch nichts gebucht, denn ich wusste nicht, wann genau ich hier ankommen würde. Also fragte ich einfach mal den Automaten und - Glück gehabt, im nächsten Zug war trotz der Sommersaison noch was frei. Alle halbe Stunde düst hier ein Zug los, und Radreisende aus aller Herren Länder warten am Bahnsteig, um eine Station mitzufahren. Anders kommen sie an dieser Stelle nicht weiter.

Gemeinsam rätselten wir, wo wohl das Fahrradabteil sein wird. Dann fuhr der Zug ein, und mit ihm die Antwort: Überall. Fast jeder Wagen hatte einen kurzen Klappsitzbereich, und fast jeder hatte noch etwas Platz frei. Keuchend hievte ich das Rad die Treppenstufen hoch. Wie so viele dänische Züge war er eigentlich modern und sah zugleich etwas altbacken aus. Dann sauste die Bahn auch schon der Spitze der Halbinsel entgegen, und wupp, zischten wir über eine niedrige Betonbrücke. Sie ist genauso alt wie ich.
Die Storebæltsbroen war 1998 das erste richtig krasse Brückenprojekt Dänemarks, noch vor der Öresundbrücke oder dem Fehmarnbelttunnel. Es ist noch gar nicht so lange her, da konnten die Dänen ihre Hauptstadt nur per Schiff erreichen! Doch so begabt die Dänen auch im Brückenbauen sind, leider ist es kein Projekt ohne Makel: An einem sehr frühen Morgen 2019 drückte der starke Wind den Container auf einem Güterwaggon aus der Verankerung. Schief ragte er aufs Nachbargleis und schnitt die obere Hälfte von einem Personenzug ab. Der Lokführer überlebte das sogar, weil er in der Dunkelheit Funken sah und sich rechtzeitig wegduckte. Einige Menschen im ersten Wagen taten das leider nicht. Danach wurde die Windgeschwindigkeit runtergesetzt, ab der die Brücke gesperrt wird.

Trotzig ragt mitten in der Storebæltsbrücke ein grüner Hügel mit einem Leuchtturm obendrauf auf, als würden er versuchen, mit den gewaltigen Pylonen hinter sich mitzuhalten. Das ist

Insel Nr. 15: Sprogø

Hier trennen sich Zug und Straße. Die Autobahn steuert die viertlängst Hängebrücke der Welt (und die längste komplett in Europa) hinauf, damit Schiffe untendurch passen.


Und die Bahn? Verschwindet, wupp, in der Finsternis.
Am Fehmarnbelt wurde ja lange gestritten, ob Tunnel oder Brücke günstiger sind. Und hier kam man zu dem Schluss, dass beides gleichzeitig die günstigste Lösung ist? Hätte ich nie erwartet, aber gut, die werden sich ja was dabei gedacht haben.

Wupp, und schon war ich auf

(Noch einmal Insel Nr. 3: Sjælland)

Der Zug raste über die grüne Halbinsel Halsskov Odde.


Nach 11 Minuten (hätte ruhig etwas mehr sein können, ich hatte kaum Zeit, um mein Handy zu laden) stieg ich auch schon in Korsør aus.

Und Korsør gibt sich alle Mühe, um Nyborg als Fahrradstadt noch zu übertrumpfen: Gleich drei Radwege in die Stadt bieten sich mir an. Ein direkter an der Straße, eine Bahntrasse in der Mitte...

...und ein nicht so direkter an küstennahen Straßen. Ich überquerte die Autobahn, die frisch von der Brücke runterkam, und sah eine Fähre trotzig neben den Pylonen aufragen, als hoffe sie immer noch darauf gebraucht zu werden (wird sie aber nicht).

Rund um den Fjord von Korsør wird es maritim und militärisch. Außen liegen Kriegsschiffe, weiter drinnen eine ältere Festung.
Auf meiner Seite ragt aber nur ein kleiner, sehr untypischer Leuchtturm aus roten Metallstäben auf. Was an dem untypisch sein soll?
Erstens sein Name: Koen - die Kuh. (Der Turm gegenüber hieß Tyren - der Bulle.)
Zweitens sein Erbauer: Die Dänische Staatsbahn. Normalerweise sind Bahnunternehmen nicht gerade für ihre Leuchttürme bekannt. Aber bevor es die Brücke gab, wollte die Bahn sicher gehen, dass ihre Züge im Bauch der Eisenbahnfähren sicher ans andere Ufer kommen. Als nach dem Brückenbau der überflüssige Turm im Meer abgerissen wurde, haben ihn die nostalgischen Korsører in ihrer Stadt aufgestellt.

Die Stadt ist größer als gedacht, eigentlich wirkt sie kaum kleiner als Nyborg, aber nicht ganz so eindrucksvoll. Nee, auch nicht mit einem riesigen Schwimmring auf dem Markt - ist das ein Sandkasten ohne Sand?

Als es keine Brücke gab, hatte die Stadt eine regelmäßige Einnahmequelle: Gestrandete Reisende, wenn das Wetter nicht gut genug für eine Überfahrt war. Sogar der König übernachtete regelmäßig in diesem Gasthaus, dem Kongegaarden. Sieht ja echt... königlich aus.

Ein seltsames Gebäude aus schwarzen Fliesen wäre mir ohne den Reiseführer nie groß aufgefallen, dabei ist es etwas sehr Besonderes - das älteste Kino der Welt, das immer noch in Betrieb ist. Der Biograf öffnete schon 1908!
Inzwischen haben die Filme Farbe und Ton. Mal sehen... The Fall Guy, Furiosa, Fuld af kærlighed, Garfield... jap, hier laufen aktuelle Filme, heute jedoch läuft zufällig gerade nix.