NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Dienstag, 6. August 2019

Von Køge nach Præstø

Mittlerweile sind wir wieder gesund und können die erste wirklich lange Etappe in Angriff nehmen. Heute hatten wir fast 70 Kilometer vor uns. Zunächst sind wir im Zickzack durch einige Alleen gefahren.
Eine Sache ist uns in diesem ländlichen Teil Dänemark ganz stark aufgefallen: Es gibt mehr Insekten. Sobald wir uns am Grünstreifen ins Gras gesetzt haben, kreuchte und fleuchte und krabbelte es nur so auf uns herum. Das haben wir in Deutschland schon lange nicht mehr erlebt. Dieser Gegensatz war derart erschreckend, dass ich es nicht mal über mich gebracht habe, die Mücken zu zerklatschen.
Mehr Grünstreifen mit Wildblumen und -gräsern scheint es hier auch zu geben. Ob da ein Zusammenhang besteht?


Nach wenigen Kilometern taucht schon die erste Sehenswürdigkeit auf: Das dicke, kompakte Schloss Vallø. Wer genau hinguckt, sieht: Es hat eine goldene Turmuhr wie das Kopenhagener Rathaus. Im Laufe unserer Tour haben wir festgestellt, dass fast jede Kirche und jedes andere erhabene Gebäude eine Uhr in diesem Stil hat.


Man kann das Gebäude nicht betreten, aber der Innenhof und der große Schlosspark sind öffentlich zugänglich. Also konnten wir uns das Schloss von allen Seiten ansehen. Ich glaube, von außen sieht das ohnehin prächtiger aus als von innen. Heute ist da ein Altersheim drin, also gibt es da vermutlich eher Treppenlifte als Thronsäle zu entdecken.
Die dänischen Könige haben das Schloss immer ihren Frauen überlassen. Eine davon gründete ein Stift für unverheiratete adlige Damen, die fortan im Schloss lebten. Das bestand bis 1976.


Ebenfalls im Jahre 1976 wurde hier Teil 8 der Olsenbande gedreht. In dem Film bekommt das Schloss den Namen Borreholm und Egon Olsen versucht, dem hiesigen Grafen eine Vase zu stehlen. Der Innenhof sah genau so aus wie im Film, nur der olle Schuppen, durch den man in die mittelalterlichen Geheimgänge steigen kann, ist eine Erfindung der Filmemacher. Und auf den Alleen, über die wir gerade geradelt sind, fahren im Film die Catering-Fahrzeuge, in deren Edelstahlbehältern sich die Gauner ins Schloss schmuggeln.
Die adligen Damen auf dem Schloss durften den Film schon vor der Premiere gucken.


Heute konnten wir nicht so viel an der Küste fahren. Der Radweg führt im Zickzack durch das Binnenland, von Dorf zu Dorf. Steigungen gibt es noch nicht, zumindest keine richtigen. Die kleinen Hügelchen haben wir nicht ernstgenommen.


Dänische Dorfkirchen sehen folgendermaßen aus: Backstein, niedriger Turm mit Treppenstufen-Muster, goldene Uhr (Das ist absolute Pflicht!). Trotzdem sind die Kirchen nicht gleich. Die hier ergänzt die Pflichtbestandteile zum Beispiel mit dänischem Gelb.


Und diese Zebrakirche hat sich lustige Streifen zugelegt.
Das weiße Baumaterial ist auch schon ein erstes Anzeichen für die Landschaft, die uns bald erwartet.


Bei Mandehoved bringt uns der Weg wieder in die Nähe der Küste. Wir befinden uns zwischen der Køge-Bucht und der Faxe-Bucht. Die Ostseeküste wölbt sich hier nach außen.


Und das bedeutet: Hier gibt's keinen Strand, sondern Steilküste! Die Kreidefelsen von Stevns Klint (Stevns Klippe), um genau zu sein.
Direkt an der Abbruchküste führt der Radweg nicht entlang, damit kein Radfahrer gemeinsam mit der Kreide abbricht. Wer die Felsen sehen will, muss ungefähr einen Kilometer Umweg fahren. Kurze Straßen zweigen zur Seite ab, die erste zum Naturzentrum bei Mandehoved, die zweite zu diesem Industriegebiet.


Die weißen Felsen sind ja ganz schick und bringen sicher den einen oder anderen Touristen, trotzdem ist es profitabler, die Kreide im Kalkbruch industriell abzubauen. Die Bagger haben sich vom Meer her in die Landschaft gefressen und so tief gegraben, dass unten türkise Seen aufgetaucht sind - ein merkwürdiger Anblick. Wenn das ein Braunkohle-Abbaugebiet wäre, also dasselbe in Braun, dann würde man es definitiv als hässlich beschreiben. Die weiße Farbe lässt das aber irgendwie ästhetischer erscheinen.
Wir sind die Straße zum Kalkbruch ein Stück heruntergeradelt und verspeisten einige Zimtschnecken im Gras vor dieser seltsamen Aussicht. Später sahen wir, dass direkt am Hauptweg einen Aussichtspunkt mit Blick auf das Abbaugebiet steht. Der Umweg war unnötig.


Auch der Leuchtturm ist kreideweiß.


Der nächste Umweg hingegen war absolut notwendig. Er führt ins winzige Örtchen Højerup. Es besteht aus einigen Wohnmobilstellplätzen, Restaurants und gleich zwei Dorfkirchen.


Die ältere Kirche wurde schon im 12. Jahrhundert gebaut. Damals stand sie 50 Meter vom Meer entfernt.


Heute beträgt die Entfernung ungefähr -5 Meter (ja, minus 5). Die Ostsee hat im Laufe von Jahrhunderten immer mehr Kreide abgespült, bis die Kirche irgendwann auf der Klippe stand, der Chorgang abbrach und ins Meer stürzte. Unter der Kirche gab es Gräber, und als Teile der Kirche baden gingen, ragten auf einmal die Knochen der Toten über dem Meer aus der Mauer.
Heute ist die Kirche gesichert und hat an der Abbruchstelle einen Balkon, auf dem die Kreidefelsen bestaunt werden können.


Anschließend sind wir noch die Steilküste hinuntergestiegen. Besonders hoch sind die Kreidefelsen eigentlich nicht, jedenfalls verglichen mit dem, was wir zwei Tage später sehen sollten. Aber eine halbe Kirche gibt's weder in zwei Tagen noch am Königsstuhl auf Rügen.


Neben der Kirche stand ein rekonstruiertes Bauernhaus mit alten Möbeln und niedrigen Decken. (Aua! Kopfschmerzen sind inklusive.) Es fungiert zugleich als Souvenirladen.


Diese militärische Anlage heißt Stevns Fort. Diesem ominösen Steven gehören also nicht nur die Kreidefelsen, sondern auch noch manch anderes.


Nun sind wir an der Faxe Bugt (Bucht) angekommen. Der nächste Ort heißt Rødvig. (Schon wieder so ein dänisches Ø. So langsam ødet es mich an, die Tastatur ständig umzustellen, weil in jedem zweiten Ortsnamen dieser bløde Buchstabe vorkommt.)
Eigentlich wären wir nach der längeren Pause an den Kreidefelsen gern zügig weitergefahren, doch ein kräftiger Gegenwind aus dem Westen bremste uns aus. Uff! Dann eben noch eine kurze Erholungspause am Grünstreifen.


Endlich tauchen wir in den Wald ein und der Weg knickt nach Süden ab. Tschüss, Wind!
Wer in Dänemark in einen Ort fährt, sieht den Ortsnamen und ein entsprechendes Symbol nicht nur auf einem Schild, sondern auch auf der Straße. Okay, okay, wir haben es ja verstanden, dann fahren wir eben nur 50.


Als nächstes durchquerten wir Faxe Landeplats. Im Vergleich zu Køge sieht dieser Ort nicht so interessant aus. Trotzdem soll es auch hier eine Miniaturstadt geben.


Das letzte Stück sollten wir auf einer Hauptstraße ohne Radweg fahren. Doch die Karte war nicht mehr ganz aktuell: Mittlerweile gibt es Fahrradstreifen. Die Straße führt direkt am Præstø Fjord entlang, der von der Faxe Bugt abzweigt.


Heute wollten wir wieder auf einem Naturlagerplatz übernachten. Er liegt in einem Wald namens Faxinge Skov. Auf der Website der dänischen Naturlagerplätze und auf meiner Karte war ein Weg eingezeichnet, über den man den Platz von Norden her erreichen sollte. Dieser Weg  sah dann aber leider so aus - und das auch nur wenige Meter, bis ein Weidezaun ihm ein Ende setzte.


Erschöpft und müde verfluchten wir die Karte und fuhren einen großen Umweg. Endlich erreichten wir den Wald aus einer ganz anderen Richtung. Darin trafen wir auf eine freundliche Frau. Dass man in einem großen Teil des Waldgebiets zelten durfte (laut der dänischen Website), war ihr zwar unbekannt, aber sie erklärte uns auf Englisch den Weg zu den Hütten (Shelter).
Die sahen wesentlich gepflegter aus als die bei Kopenhagen. Dort stand sogar ein Plumpsklo. Ganz in der Nähe gab es eine Schule, wo ein Wasserhahn aus der Wand ragte, an dem wir unsere Flaschen füllen durften. Obdachlose gebe es dort nicht, versicherte sie uns. "Wenn wir merken, dass jemand zu lange da drin bleibt, kümmern wir uns um ihn. Also, auf eine nette Art, aber wir kümmern uns um ihn."

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