NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Freitag, 9. August 2019

Von Stege nach Liselund

Møn ist eine wellige Insel. Die Steigungen sind noch steiler als gestern, ansonsten war die Strecke recht ähnlich. Das Nordufer der Insel berührt der Weg überhaupt nicht. Alle Straßen, die zum Wasser führen, sind wieder einmal Sackgassen.
Diesmal sind wir nur 25 Kilometer geradelt, denn am Ziel wollten wir viel Zeit verbringen. Der Weg führt im Zickzack auf das östliche Ende der Insel zu, wo die Berge immer höher werden.

Dieser Rehbock war der einzige Inselbewohner, dem wir während der ersten 10 Kilometer begegneten.

Die Dörfer auf der Strecke waren ziemlich ausgestorben. Borre war noch das größte. Es hat sogar einen Lebensmittelladen. Zum Glück haben wir uns dort noch einmal mit Proviant eingedeckt.
Ansonsten haben die Dörfer keine richtigen Geschäfte. Nur eins haben sie alle: Galerien. Wer braucht schon etwas zu essen, wenn er bergeweise Kunst und Antiquitäten erwerben kann? Viele Häuser sind auch "til salg" (zu verkaufen).

Schließlich ging es noch einmal so richtig steil hoch bis nach Liselund. Dort steht ein Schloss, das zum Hotel umfunktioniert wurde.

Einige Kilometer dahinter befindet sich ein Naturlagerplatz, gekennzeichnet wie üblich mit der Krone des dänischen Umweltministeriums. Wer dort übernachten will, muss erst einmal die Viehsperre überwinden.
Der Weg über die Wiese wurde aber hauptsächlich von all den Ausflüglern genutzt, die zum Meer wollten.

Direkt neben dieser stark frequentierten Wanderroute wollten wir nicht zelten. Darum schoben wir die Räder ein Stück weiter bis zu einigen merkwürdigen Kletterbäumen. Dort suchten wir uns ein Rasenstück, das (noch) nicht mit Kuhfladen bedeckt war. Allmählich begriffen wir: Wir werden hier mitten auf einer Kuh- und Ziegenweide pennen. Na, das kann ja was werden. Aber hier ist ja genug Platz, damit wir einender ausweichen können, oder?
Sollte man meinen. Nur stand hinter unserem Zelt ein Hain voller Brennnesseln, die nach Meinung der Rindviecher ein perfektes Abendessen abgaben. Und so kam abends eine gewaltige Horde tiefschwarzer Rinder an unserem Zelt vorbeigetrampelt.
"Muuh!"- "Muuuh!" - "Muh!", kommunizierten die Kühe, als würden sie sagen: "Ich trau mich nicht an den Menschen vorbei." - "Mir ist nichts passiert, die sind wahrscheinlich harmlos, mach jetzt." - "Ich trau mich nicht, Mama!"

Ziegen und Kühe schickten erst einmal jemanden vor, der ausprobieren sollte, ob man sicher an uns vorbeikam. Eine besonders vorwitzige Ziege kletterte auf einen Baum und traute sich dann nicht mehr runter. Nach einer Weile beschlossen wir zu helfen, also quasi - wir gingen zum Baum, sie bekam Angst und traute sich auf einmal doch.
Als nächstes beobachteten wir noch einen Kampf zweier Rinder vor dem Zelt, Kopf knallte an Kopf. Je später die Abendstunde, desto mutiger wurden die Kühe, und schließlich beschlossen sie, uns aus ihrem Revier vertreiben. Eine setzte einen Fladen direkt vor unser Zelt und muhte uns so lange an, bis wir uns ins Zelt verzogen.
Aus Sicht der Kuh waren wir damit quasi weg, denn das Zelt war ja bloß ein lebloser Gegenstand. Triumphierend muhte sie und verzog sich.

Vorher gingen wir aber noch wandern. Ich dachte, unser Standort sei nicht weit vom Meer entfernt, und wollte querfeldein marschieren. Das war nicht so schlau, denn es gab überhaupt keinen Pfad in diese Richtung. Wir schlugen uns eine Weile durch wilde Wiesen.

Dann fanden wir den breiten Weg von vorhin wieder und gelangten an die Küste. Ganz in der Nähe führt eine sehr, sehr lange Holztreppe abwärts. Es ist unmöglich, diese Holztreppe auf einem Bild einzufangen. Sie windet sich in der Waldschlucht lange hin und her. Jemand hat mit Kreide ab und zu notiert, wie viele Stufen noch bis unten zu bewältigen sind. Immer alle fünfzig Stufen.
Es waren verdammt viele Kreidenotizen.
Ein Schild warnt: Das Betreten erfolgt auf eigene Gefahr. Im Winter und Frühling ist es besonders gefährlich. Es war Sommer, also hielten wir das Risiko für vertretbar.

Erst auf den letzten Metern guckt die Treppe aus dem Grün und endet neben einem kleinen Wasserfall einen Strand aus Kies.
Und so standen wir völlig unvermittelt neben einer strahlend weißen Wand. Neben uns berührten die Kreidefelsen vom Lilleklint (Kleine Klippe) den Himmel. Ja, richtig gelesen, kleine Klippe.
Der Lilleklint ist zwar viel größer als der Stevns Klint von vorgestern, aber auf Møn spielt sich alles in größeren Maßstäben ab. Zwar nicht, was die Städte angeht - aber bei den Klippen.

Bis zu den größten Felsen ist es noch ein Stück zu laufen. Die meiste Zeit konnten wir einfach über den Steinstrand schlendern. Auf einem Abschnitt jedoch hatten wir die Wahl: klettern oder waten. Die Ausläufer der Felsen reichten bis ans Wasser heran. Leider entschieden wir uns fürs Klettern. Dabei kamen wir immer weiter nach oben und der Pfad verlor sich zusehends im weißen Staub. Irgendwie gelangten wir über eine weiße Rinne wieder nach unten, halb kletternd, halb rutschend.
Meine Freundin hatte die letzten Tage eine weiße Hose getragen, die auf der Tour sehr schmutzig geworden war. Heute wollte also eine schwarze anziehen in der Hoffnung, dass man die Spuren der Reise darauf weniger sieht. An sich eine gute Idee. Aber ausgerechnet heute ein fataler Fehler.
Abends war diese Hose weiß.

Zwischendurch ist die Steinküste auf einmal ganz klein, sogar kleiner als bei Warnemünde.

Und dann wieder richtig, richtig hoch. Nach zwei Stunden erreichten wir das touristische Herz der Landschaft. Am höchsten ist der Dronningestolen (Königinnenstuhl) mit 128 Metern. Selbst der Königsstuhl auf der Insel Rügen (die so ungefähr gegenüber von Møn liegt), ist 10 Meter niedriger. Wie beim Schach überragt die Königin überragt den König.
Die Kreide kennt folgende Farben: weiß, grau, beige und praktisch alle Abstufungen dazwischen. Dicke Adern aus Feuerstein durchziehen den Fels wie ein Blutkreislauf.
Wir sind lange unten entlanggewandert, aber ich bin nicht ganz sicher, welcher Felsen nun wirklich der Königinnenstuhl war. Die Kreide war nicht beschriftet.

Aber beeindruckend waren sie alle. Sogar der, den offenbar ein Riese als Kloschüssel benutzt.

Der Sage nach lebt hier ein Klippenkönig in einer Höhle mit einem weißen Pferd. Falls man einen alten Mann mit Hut und Bart sieht, soll man freundlich zu ihm sein, dann erfüllt er Wünsche oder so. Wir sahen aber keinen. Es sei denn, der König gibt sich mittlerweile als Kuh aus.

Irgendwo oberhalb des Königinnenstuhls befindet sich noch ein modernes Geocenter mit Gletscherkino und Kletterwald. Das klingt zwar auch ganz cool, aber ich denke, wir haben unsere Zeit in unsere lange kostenlose Strandwanderung ebenso gut investiert. Ob mit oder ohne Museum, auf jeden Fall erhalten die Kreidefelsen hochverdient das Prädikat

🌟Ort, den ich meiner Familie mal als Tagesausflug empfehlen würde

Schließlich sind wir auf einer anderen Holztreppe wieder hinaufgestiegen und haben die Klippen noch von oben bewundert. Von unten sieht man mehr, weil dort kein Baum den Blick verdeckt, aber auch von oben gibt es tolle Ausblicke. Manche Bäume wurzeln im 45-Grad-Winkel in der Kreide.

Den Rückweg haben wir dann oben zurückgelegt. Kaum entfernten wir uns vom touristischen Herzen der Landschaft, verschwand auch schon das hölzerne Geländer und die Klippe fiel einfach so steil ab. Kein Wunder, dass der Waldweg immer mehr Abstand zum Abgrund suchte. Direkt an der Steilküste schlängelten sich nur noch dürre Trampelpfade, die mir doch ein bisschen zu riskant aussahen.
Auf dem Weg zurück zum Zelt durchquerten wir noch eine Baumschule und wahrscheinlich die richtige Zeltstelle des Naturlagerplatzes inklusive Feuerstelle. Wie soll man da bitte mit Fahrrädern hinkommen?

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