NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Sonntag, 29. August 2021

Von Skamling nach Genner

Heute morgen suchte ich ein Messer und warf hektisch Sachen aus der Tasche. Zielsicher traf ich mit einem Glas Schokoaufstrich die Olivenölflasche. Sie zerbrach. Da brauchen wir wohl neues.

In zwei Tagen müssen wir in Deutschland sein, schließlich habe ich unsere Ankunft schon angekündigt. Und morgens erstmal einen 113 Meter hohen Berg runterzusausen, ist sehr motivierend. Das Wetter ist auf prima, auf geht's!

Erste Station des Tages ist die kleinere Stadt Christiansfeld. Sie ist bekannt für ihre Honigkuchen, die schon seit dem 19. Jahrhundert... egal, sie hatten mich schon beim Wort Honigkuchen. Wir haben uns im erstbesten Café ein Stück gegönnt und es war wirklich sehr lecker. Bei dem Versuch, einen Honigkuchen mitzunehmen, verwandelte sich dieser innerhalb kürzester Zeit in Honigmatsch (schmeckt auch).

Selbst die gelblichen Häuser der Stadt sehen ein bisschen wie Honigkuchen aus.

Christiansfeld wurde von ein paar Mönchen aus der Lausitz gegründet, die von Dänemark alle möglichen Vorrechte erhielten. Sie entwarfen eine Stadt mit symmetrischen Straßen und einer eigenartigen Kirche.
Sie ist total breit, niedrig, leer und weiß und hat einen Predigttisch anstelle einer Kanzel, aber das ist noch nicht das Seltsamste. Auf dem Holzboden ist Strandsand von der Ostsee verstreut, um die Verbundenheit mit der Region zu betonen oder so. Und ganz hinten hat eine Künstlerin aus Texas Donald Trumps Mauer aus Plastiktüten nachgebaut. So viel verrät das beiliegende Informationsmaterial. Was wir dem Heft nicht entnehmen konnten, war, warum die Mauer ausgerechnet in Christiansfeld hängt. Wir vermuten, dass die Künstlerin von hier stammt, denn Dörte ist ja nicht gerade ein typisch texanischer Name. Auch sonst ist der Standort gar nicht so unpassend, immerhin sind wir nicht mehr weit von der deutschen Grenze, die Dänemark während der Flüchtlingswelle 2015 relativ früh geschlossen hat.

Heute sind wir der offiziellen Route mit all ihren Schlenkern gefolgt. Der flache Feldweg durchquerte gleich die nächste Sehenswürdigkeit: Bulladen ist das älteste Blockhaus Dänemarks. Es besteht komplett aus senkrechten und waagerechten Holzbalken, stammt aus dem 17. Jahrhundert und sieht nicht aus, als wäre es seitdem renoviert worden.
Hm, wahrscheinlich ist doch nur der rechte Teil das Blockhaus, das hübsche Tor besteht ja nicht nur aus Holz.

Ein klares Zeichen, dass wir uns Deutschland nähern: Die Heuballen sind wieder rund!

Das ist doch mal ein toller Garten!

Jetzt mussten wir noch eine Runde durch die Großstadt Haderslev (Hadersleben) drehen. Ja, wir mussten: Ein Rundgang durch die Altstadt ist ein Muss, schreibt der Reiseführer, also blieb uns gar nichts anderes übrig. Da soll man sich wie im Mittelalter fühlen.
Nun ja, Haderslev ist ganz nett, aber wir haben schon schönere und mittelalterlichere dänische Städte gesehen. Wir unternahmen einen Streifzug durch eine dänische Buchhandlung und stellten fest, welche Bücher wir auf Dänisch wiedererkennen und welche nicht. Weiter hinten im Landen entdeckten wir schöne Puzzles dänischer Sehenswürdigkeiten, die wir zum Teil schon live gesehen hatten. Die waren zu sperrig für unsere Taschen (also die Puzzles, die Sehenswürdigkeiten allerdings auch), daher mussten wir uns darauf beschränken, die Motive zu bewundern.

Die Kirche sieht wieder mal so aus, als stünde sie in Rostock. Dass man für den Klingelbeutel auch Mobilepay nutzen kann, ist jedoch überaus dänisch.

Die historischen Fachwerkhäuser konnten wir wie in Kolding an einer Hand abzählen. Sie stehen in der Nähe des Fjords. Wobei, das Wasser ist so schmal, das ist schon kein Fjord mehr, sondern ein Fluss oder See oder was auch immer... Haderslev Dam wird das grüne Gewässer offiziell genannt, es handelt sich um ein Naturschutzgebiet. Viele Weiden beugen sich über das Wasser, als wollten sie trinken.

Im Inneren eines Auto-Kreisverkehrs verbirgt sich ein Fahrrad-Kreisverkehr, der uns aus Haderslev verabschiedete. Aber damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Nicht überall ist der Straßenverkehr in dieser Stadt so entspannt.

Später gelangten wir endlich mal wieder ans Meer - und zwar an eine richtige offene Bucht, keinen städtischen Fjord. Das mussten wir ausnutzen, heute könnte schließlich der letzte Tag mit Badewetter sein. (Spoiler: War er nicht.)
Das Baden war gar nicht so einfach. Der Meeresboden war voll von spitzen Steinen. Die Alternative bestand aus einem sehr schmalen, rostigen und halb zerfallenen Steg. Betreten auf eigene Gefahr, warnte ein Schild, das wir gerade noch so noch entziffern konnten. Damit war es intakter als der Steg.
In Vilstrup Strand ist eine Bikinifigur mit wenig Körpergewicht tatsächlich hilfreich - nicht wegen irgendwelcher Schönheitsideale, sondern um diesen Steg nicht endgültig zu zerstören. Wir brauchten gefühlte zwei Stunden, um den Steg ganz langsam und vorsichtig zu überqueren, dann schwammen wir ein paar Runden im tieferen Wasser und schritten wiederum zwei Stunden lang auf dem Steg zurück. Die ganze Zeit saßen vier Omas am Strand und tratschen auf Dänisch über Gott und die Welt und höchstwahrscheinlich auch über uns.

Die heutige Strecke hat uns zwischendurch ein paar flache Kilometer geschenkt, der letzte Abschnitt wurde wieder anstrengender.

Eine Bucht weiter liegt die Mini-Insel Kalvø. Sie ist über eine Brücke mit dem Festland verbunden und erfreut sich bei Seglern großer Beliebtheit.

Deswegen habe ich Toiletten, Wasser und sogar Duschen entdeckt. Die sind vor allem für die Segler gedacht, aber ich glaube, Radfahrer dürfen sie auch benutzen - warum sonst sollte der Naturlagerplatz auf dem Festland auf sie hinweisen?
Mit dem nachdenklichen Slogan Kein Mensch ist eine Insel wird für die Kalvø-Hochschultage geworben. Der weiße Gebäudekomplex der Insel beinhaltet außerdem ein Gasthaus und ein kleines Schiffsmuseum. Der Rest ist Naturschutzgebiet. Kaum zu glauben, aber wahr: Auf dieser winzigen Insel stand mal eine bedeutende Werft mit über 100 Angestellten.
Dieses hölzerne Gerät nennt sich Capstan und wurde damals zusammen mit Flaschenzügen benutzt, um Schiffe im Wasser zur Seite zu ziehen und den Rumpf zu reparieren.

Einen Kilometer und einen lästigen Hügel entfernt liegt ein bezaubernder Naturlagerplatz zwischen Wald und Kuhweide. Auch unsere letzte Nacht in Dänemark verbrachten wir wieder neben Kühen, die abends vorbeitrotteten - diesmal aber hinter einem Zaun. Aus einem bestimmten Blickwinkel (den ich auf diesem Foto nicht eingenommen habe) ist auch die Ostsee gut zu sehen, also ganz klar wieder mal ein Übernachtungsplatz der Kategorie Wahnsinn, dass wir vor dieser Aussicht einfach so schlafen dürfen!
Nun ist es Zeit fürs Abendessen. Als erstes brauchen wir Olivenöl und... verdammt. Hätten wir doch nur in Haderslev welches gekauft.
Zum Glück zeltete noch ein freundlicher Radfahrer aus Hamburg auf dem Platz, der ein paar Tropfen Öl abgab. Er war so clever und verwahrte es gut getarnt in einer Plastikflasche, sodass es wie Fahrradöl aussah. Wir fragten lieber nochmal nach, ob er auch wirklich richtig verstanden hatte, von welchem Öl wir da sprachen.
Spät abends, als wir uns gerade ins Zelt legen wollten, leuchteten Leute durch die Dunkelheit. Es waren zwei junge Zimmermänner, die sich einfach auf ihre Matten unter den freien Himmel legten. Sie hatten gerade sechs Wochen in Flensburg gearbeitet und setzten nun ihre Walz fort, also ihre dreijährige Wanderschaft, bei der sie auf keinen Fall nach Hause dürfen. Die beiden nahmen die alten Bräuche offenbar sehr ernst, sie trugen weiße Klamotten, geschnitzte Stäbe und ein Bündel auf dem Rücken. Wahrscheinlich sahen die Walzwanderer vor 300 Jahren nicht wirklich anders aus.

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