NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Mittwoch, 25. August 2021

Von Millinge nach Assens

Noch ist das Drama nicht zu Ende. Weil die Spiritusflasche leer war, konnten wir den nächsten Tag nicht mit einem Kaffee bzw. Tee beginnen. Das war schlecht. Wir radelten zurück nach Faaborg und steuerten zielstrebig den Fri Bike Shop an. Doch der Mechaniker war noch im Urlaub. Da wussten wir, dass unsere Pechsträhne noch lange nicht vorbei war.

Ob wir es mit dem klappernden Rad in die nächste Stadt schaffen würden, bevor die Werkstatt dort schloss? Und würde das Rad bei der Fahrt nicht noch mehr Schaden nehmen? Nein, da nahmen wir nehmen lieber den Bus. Dabei stellten wir fest: Auf der Insel Fyn nehmen die Busfahrer Bargeld, sind dick bepackt Radlern gegenüber genauso freundlich - und sie fahren ausnahmslos alle nach Odense. Was bedeutet, dass wir umsteigen mussten und eine höchst deprimierende halbe Stunde unter den scheußlichen Bögen der Bushaltestelle Vøjstrup verbrachten.

Auch wenn wir diese 25 Kilometer nicht gefahren sind, war es im Prinzip genauso anstrengend, zwei Räder voller Gepäck rein, raus und wieder rein zu verfrachten, festzubinden, aufzurichten, wenn sie trotzdem umfielen, und wegzuschieben, wenn sie jemandem im Weg waren. Aber zum Glück waren die Busse recht leer.


Der nächste Fri Bike Shop lag in Assens und war schon mal eine Verbesserung: Hier befand sich der Mechaniker nicht im Urlaub, er hatte halt nur keine Zeit. Sein Terminkalender war voll. Eigentlich. Aber wir sahen so verzweifelt aus, dass er ein paar Sachen schob und plötzlich doch noch eine Lücke entdeckte. Um 15 Uhr sollte das Rad fertig sein. Erleichtert machten wir uns auf den Weg in die Innenstadt, wir wollten solange essen gehen.
Das Wetter war allerdings noch nicht so richtig freundlich. "Brauchen wir einen Test für drinnen?", fragte ich, denn die Regeln ändern sich ja immer mal wieder. "Ja", meinte der Kellner ratlos, "Vorhin war hier ein Testbus, ich weiß nicht, wo der hingefahren ist."
Also verzehrten wir unsere großen, köstlichen Burger draußen in der Kälte. Das schien dem Kellner mehr auszumachen als uns, er entschuldigte sich und brachte warme Decken.

Eine Stunde später kehrten wir zur Werkstatt zurück. Auch der Mechaniker wirkte irgendwie, als müsse er sich für etwas entschuldigen. War er etwa noch nicht fertig?
Jein. Er führte uns in den Hinterhof und zeigte uns, dass das Gewinde im Inneren des Rades hoffnungslos zerkratzt sei. Eine Reparatur war unmöglich. Das wars dann also, dachte ich. Hier und jetzt endet diese Reise. Stattdessen sollte sich unsere Reise in diesem Hinterhof endlich zum Guten wenden. Denn es geschah, was ich gar nicht zu hoffen gewagt hatte: Der Laden hatte ein gebrauchtes Rad, mit dem meine Freundin gut fahren konnte, und das zu einem guten Preis. Als sie glücklich lächelnd von ihrer Probefahrt über den LIDL-Parkplatz zurückkehrte, da schöpfte ich wieder Hoffnung. Bald darauf erwarb sie das graugrüne dänische Rad, auf dem wir nach Deutschland zurückkehren sollten. Und das, unglaublich aber wahr, ohne jede weitere ernsthafte Panne.

Assens ist eines dieser Städtchen, die keine Fußgängerzone haben und es trotzdem hinkriegen, dass man sich angenehm durch die Innenstadt bewegen kann.

Assens ist ähnlich hübsch wie Faaborg, und diesmal hatten wir sogar Zeit, um das besser wertzuschätzen. Der hiesige Brunnen zeigt einen Jungen mit spuckender Eidechse.

Wir hatten sogar endlich mal Zeit, um einer dänischen Miniby einen Besuch abzustatten. Das hatte ich schon seit der letzten Tour vor. Dazu liefen wir durch ein offenes Tor und warfen 20 Kronen in eine Spendenbüchse. Anders als die Miniaturstädte in Køge, Faaborg (die habe ich immerhin von außen gesehen) oder Bützow ist die Miniby Assens ziemlich klein und wird per Kasse des Vertrauens finanziert.
Die Häuser werden anhand von historischen Plänen und Zeichnungen rekonstruiert. Wie es aussieht, hatte Assens damals sogar noch mehr weiße Häuser. Der Kirchturm wurde gerade erst gemauert, dort stand auch ein Tisch mit Mörtel und den entsprechenden Werkzeugen. Wir fühlten uns fast, als seien wir unerlaubt in die Werkstatt eines Modellbauers eingedrungen.

Andere Häuser hingegen sehen schon sehr alt und ramponiert aus. So eine Ministadt ist eben eine Dauerbaustelle, und hier scheint ein einzelner Modellbauer ganz allein gegen die Windmühlen der Zeit anzukämpfen. Wir drücken ihm die Daumen.

Um unsere Situation völlig ins Lot zu bringen, brauchten wir nur noch einen Campingkocher. Wir mussten noch ungefähr 5384 weitere Geschäfte abklappern, bis wir endlich im Baumarkt Harald Nyborg fündig wurden. Dabei entdeckten wir weitere Seiten von Assens, etwa die hässliche Hafenstraße. Kein Wunder, dass der Ostseeradweg hier nicht direkt an der Ostsee verläuft.

Direkt vor der Stadt erstreckt sich eine herrlich bunte Blumenwiese, dahinter liegt der Bahnhof. Hier fahren aber nur noch Draisinen. Auf Dänisch werden die einfach und präzise Schienenfahrräder (skinnecykel) genannt.

In der Nähe von Assens gibt es nur einen Campingplatz, also fuhren wir da einfach hin, ohne zu wissen, was genau uns erwartet. Unser zweiter dänischer Campingplatz stellte sich als das genaue Gegenteil des ersten heraus. Alles war supermodern und schickimicki, deshalb bezahlten wir logischerweise ungefähr doppelt so viel. Der Platz gehörte zu einer Kette namens Camp One. Wir erhielten am Eingang eine Chipkarte, mit der wir die lautlosen Schiebetüren dazu bringen konnten, sich zu öffnen. Die Waschräume strahlten weiß und makellos sauber, sanfte Radiomusik ertönte und auf einem gewaltigen Flachbildfernseher war sogar zu lesen, welches Lied gerade lief. Ein rostiger Duschmünzenautomat hätte hier ungefähr so fehl am Platz gewirkt wie unser Zelt zwischen all den Wohnmobilen. So lange heiß zu duschen, wie wir wollten, war eine tolle Sache, aber um regelmäßig auf so etwas nicht übernachten, reicht das Budget nicht ganz - da kann man sich schon fast ein günstiges Zimmer nehmen.
Auf dem Camp One war es dermaßen windig, dass unser halb aufgebautes Zelt herumtanzte wie eine verrückte Qualle auf LSD. Die Wäsche, die wir zum Trocknen aufgehängt hatten, konnten wir später aus den umliegenden Hecken sammeln.

Direkt nebenan entdeckten wir einen steinigen Strand. Hier war alles flach, die einzigen Erhebungen bildeten ein paar Ferienhäuser am Horizont. Aber auch diese Stelle hatte ihre ganz eigene Faszination. Nach all den geschützten Sunden und Meerengen hatten wir hier mal wieder ein größeres Stück Ostsee, das in höheren Wellen auf die Steine klatsche. Der gnadenlose Wind jagte eine dicke Wolkenbank nach der anderen über uns hinweg und stellte das Wetter immer wieder um: In der einen Stunde war der Himmel komplett grau und es nieselte, in der nächsten Stunde war wieder alles strahlend blau.
Obwohl das Meer hier etwas weiter reicht, erkannten wir am Horizont Land. Diesmal ist das keine andere Insel, sondern schon das Festland. Da wollen wir morgen hin.
Wir blieben eine Weile sitzen, bis die Dämmerung einsetzte und der wilde Wolkenwind uns bis auf die Knochen durchgefroren hatte. Dann verzogen wir uns in den Aufenthaltsraum bei der Küche. Wir seufzten vollkommen zeitgleich im selben Tonfall, als die Schiebetür aufglitt und uns wohltemperierte warme Luft umfing.

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