NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Samstag, 21. August 2021

Von Sundby nach Kramnitze

Unsere Zeitreise ins Mittelalterzentrum hatte unerwartete Folgen. Bei der Rückkehr ins Jahr 2021 machten wir einen fatalen Fehler und kamen erst um 15 Uhr raus. Wie sollen wir jetzt noch die Tagesstrecke schaffen? Na gut, erstmal losfahren.

Lolland ist nicht LOL, sondern ländlich: Eine Insel voller Herrenhäuser, Hügelgräber und Freilichtmuseen. Im Vorbeifahren haben wir Kenkerup Gods gesehen, eins der ältesten und gelbsten Gutshäuser Dänemarks inklusive 400 Jahre alten Buchen.
Der Ostseeradweg leitete uns nicht an die Küste, sondern zwischen Feldsteinmauern, Farnen und Wäldern hindurch. Die Mauern und Farne waren zu niedrig, um uns Schutz vor den brennenden Sonnenstrahlen zu bieten. Dazu waren nur die Wälder in der Lage.


In Sakskøbing lächelte uns ein Wasserturm namens Saxine freundlich, aber auch etwas verstörend an. Seinetwegen nennt man Sakskøbing Die lächelnde Stadt. Was will er uns damit sagen? Dass wir den Radweg an der Hauptstraße nehmen und ein paar Kilometer sparen sollen? Okay, machen wir.

Lollands Inselhauptstadt heißt Maribo. Angeblich soll es hier wunderschöne Fachwerkhäuser mit Rosen dran geben - nur wo? Vielleicht haben wir die falschen Straßen erwischt, aber im Vergleich zu anderen dänischen Städten fanden wir Maribo eher mau.
Maribo macht Kinder froh und Erwachsene ebenso? Naja, geht so.

Immerhin wachsen in Maribo viele Pflanzen (hier am Rathaus). Rosen haben wir auch in den dicken Blumentöpfe nicht entdeckt.

Um die schönen Rosenhäuser zu sehen, hätten wir wahrscheinlich eine weitere Zeitreise zu den Bauern des 18. Jahrhunderts machen müssen. Als Zeitmaschine dient erneut ein Freilichtmuseum. Dafür fehlte uns, welche Ironie, die Zeit.
Aber zumindest die Maribosøerne (Mariboseen) haben wir uns angeguckt. Das sind mehrere verbundene Seen, von denen der Søndersø (Südsee) der größte ist. Weil Dänemark vorwiegend Salzwasser zu bieten hat, bilden diese Seen zusammen sogar Dänemarks größten Süßwassersee. Der Søndersø ist ein blauer glatter Spiegel, mal was ganz anderes als die Ostsee. An seinem Ufer ragt der Dom von Maribo mitten im Grünen in die Höhe. Ein ungewöhnlicher Platz für die größte Kirche der Stadt, aber auch absolut nachvollziehbar - das hier ist definitiv Maribos schönster Ort. Der Dom gehörte mal zu einem Doppelkloster, also mit Mönchen und Nonnen. Die konnten sich mit dieser Aussicht ablenken, wenn ihnen die Einhaltung der klösterlichen Regeln mal besonders schwerfiel.
Also haben wir es wie die Nonnen gemacht und uns am Seeufer platziert - wenn auch nur vorübergehend, um Suppe zu kochen.

Nach dieser herrlichen Pause neigte sich der Tag auch schon dem Ende zu. Oh Mann, sollen wir nicht lieber in Maribo campen? Ach nee, wie schaffen den Rest noch.
Und wie sieht dieser Rest aus? Rote Gatter, wenig Kurven, wenig Höhenunterschied und am Ziel ein wichtiger Hafen? Eindeutig eine alte Bahntrasse - mittlerweile habe ich genug Übung, um das auf Anhieb zu erkennen, obwohl das mein erster Bahnradweg im Ausland war. Die Trasse ist nicht asphaltiert, dafür aber fermentiert. Links und rechts stehen Mirabellenbäume, die sowohl Schatten als auch Mirabellen spenden. Unter der sengenden Sonne und den rollenden Reifen wird aus den Früchten vergammelter Mirabellenmatsch, der gern am Rad kleben bleibt - so betrunken war mein Fahrrad noch nie. Bald hatte ich mich an den alkoholischen Dunst gewöhnt und konnte den herrlichen Radweg genießen - so sehr, dass wir noch länger auf der Bahntrasse blieben, als es die offizielle Route vorsah.

Anders als auf den deutschen Bahnradwegen habe ich gerade mal zwei ehemalige Bahnhöfe entdeckt: Der erste wurde zu einem netten Einfamilienhaus umgestaltet, der zweite in Rødby war bloß ein verfallener Schuppen. Besondere Bahnbrücken haben wir auch nicht gesehen, bloß einen Betonbogen unter der Autobahn durch.
An der Endstation Rødbyhavn sind wir wieder an der Straße herausgekommen. Vor uns warteten Autokolonnen auf die Fähre, die sie nach Puttgarden auf Fehmarn bringen soll. Wir wollen da zwar auch hin, nehmen uns aber ein kleines bisschen mehr Zeit (2 Wochen statt 45 Minuten). Deshalb sind wir rechts abgebogen.

Dass wir dem tollen Bahnradweg länger gefolgt sind, als Karte und Schilder sagen, hat sich hier gerächt: Leider haben wir den Einstieg zum nächsten tollen Radweg verpasst. Erst ein paar Kilometer weiter entdeckten wir eine steile Treppe auf den Deich. Müde und erschöpft mussten wir die Räder (gefühlte) 90 Grad nach oben schieben - und endlich sahen wir wieder Meer. Was für ein Panorama! In der Abenddämmerung umkreisten Schiffe den Hafen wie Motten das Licht, und unter unseren Füßen zog sich der Deichradweg bis zum Horizont. Er besteht aus demselben Kies wie der Bahnradweg, bloß dass hier schon immer Kies war und keine Gleise. Wir waren zwar müde, aber nicht so müde, dass wir diesen Anblick nicht schätzen konnten. Und das beste ist: Diesen tollen Weg werden wir erst morgen Abend verlassen!
In der Ferne rauschten zwei Fähren aneinander vorbei. In 10 Jahren werden hier vermutlich deutlich weniger Fähren verkehren, denn dann soll hier der Fehmarnbelttunnel zwei Nationen verbinden. Letztes Jahr war der überall in den Nachrichten, weil das Bundesverwaltungsgericht grünes Licht gegeben hat, und nun bauen die Dänen endlich drauflos.

Dabei erklären sie den Reisenden schon einmal, was sie vorhaben - den Erwachsenen im Infocenter, den Kindern auf einem speziellen Spielplatz. Vollkommen unnötig, dieser Pflanzentunnel veranschaulicht das Prinzip doch auch ganz gut.

Der Spielplatz ist schon originell, auch wenn ich  den Tunnel ja als richtigen Kriechtunnel dargestellt hätte, nicht als graue Linie zwischen zwei Rutschen. Deutschland wird repräsentativ dargestellt durch den Berliner Fernsehturm und eine Currywurstbude, beide stehen ja bekanntlich direkt am anderen Ufer auf Fehmarn.

Aktuell wird noch die Tunnelfabrik gebaut. Da werden dann Tunnelsegmente aus Stahlbeton gegossen und per Schiff unter Wasser verbuddelt. Das nennt sich Absenktunnel (genau genommen der größte Absenktunnel der Welt) und ergibt irgendwie Sinn: Jeder, der als Kind mal versucht hat, im deutschen Ostseesand einen Tunnel zu graben, weiß, wie instabil das Erdreich hier ist. Vielleicht hätte ich als Kind am Strand auch einen Absenktunnel probieren sollen (etwa mittels alter Klopapierrollen). Für die Meeresbewohner sind solche Tunnel aber besonders mies, weil nun mal der komplette Meeresboden einmal umgegraben wird. Deshalb soll die Route eventuell vielleicht nochmal geändert werden, um ein Riff zu umgehen.

Mehrere Schiffe mit Kränen drin baggerten in irgendwelchen Matschbergen herum. Das hat bestimmt auch mit dem Tunnel zu tun, vielleicht bereiten die die Einfahrt vor. Millionen Möwen sitzen auf Pfosten im Meer und gucken zu, was die Menschen da fabrizieren. Ein Strand ist hier nicht zu finden, aber mehrere Transparente mit dem Logo der Tunnelbaugesellschaft weisen darauf hin, dass nur 900 Meter entfernt ein Neuer Sandstrand wartet, der wohl extra zur Kompensation des Tunnelbaus aufgeschüttet wurde.

Direkt gegenüber erstreckt sich das Lalandia. Das ist so ein Ferienpark für Urlauber, die gern in einer abgeschiedenen und zum Teil künstlichen Welt leben, wo sie alles haben - selbst eine monströse Wasserrutsche. Das Ding ist dermaßen riesig, dass es für viele Besucher auf der Fähre das erste ist, was sie von Dänemark sehen.
Das Lalandia wirbt mit einem Strand "direkt vor der Haustür". Mit der weniger idyllischen Tunnelmatschbaustelle, die in Wahrheit direkt vor der Haustür liegt, wirbt es seltsamerweise nicht.

Der Himmel wurde immer dunkler, unsere Beine immer müder, aber dennoch mussten wir noch 8 Kilometer bis zum Naturlagerplatz in Kramnitze überwinden. Den soll man vorher online buchen und 4 Euro per Kreditkarte zahlen, was ich auch brav getan habe - obwohl es wie immer vor Ort niemanden interessiert hat. Dieser Platz war sein Geld definitiv wert. Zum einen gab es richtige Toiletten, vor allem aber war die Lage traumhaft. Das war nicht nur uns aufgefallen. In der Dunkelheit war es schwierig, alle Zelte zu erkennen, aber das war nicht nötig: Schon auf den ersten Blick konnte ich erkennen, dass dieser Platz weitaus beliebter ist als alle anderen Naturlagerplätze und warum. Kein Problem, dachte ich, es ist ja genug Platz. Es war dann aber doch ein Problem, oder genau genommen waren wir das Problem - und unsere späte Ankunftszeit. Die meisten Radler schliefen um halb neun schon, und ein niederländisches Paar bat uns höflich, aber eindringlich, doch etwas leiser zu sein. Okay, tschuldigung. So viele Menschen waren wir nach der letzten Nacht einfach nicht gewohnt. Die Schutzhütte war noch frei - warum, verriet uns ein meckerndes Kind: "Ich will nicht nochmal ins Shelter, das ist so kalt." Daraufhin hatte meine Freundin noch weniger Lust, in so einem Ding zu schlafen.
Nach dem Zeltaufbauen schlichen wir noch ein paar Meter über die sanfte Düne zum schmalen Sandstrand. Egal, wie müde, erschöpft oder wenig romantisch veranlagt wir waren, das musste einfach sein. Bei solch einem farbenfrohen Sonnenuntergang war es physikalisch gar nicht möglich, darauf zu verzichten.

Heute Nacht war auch noch irgendein Blutmond oder so was - kurz googeln, ah ja, ist wirklich Blutmond, jetzt aber Handy weg. Der Mond strahlte dermaßen rot und voll vom Himmel, dass all die blinkenden Bojen und Schiffe an der Fährstrecke keine Chance hatten - obwohl sie sich alle Mühe gaben, mit dem Mond um die Wette zu bluten.
Was für ein herrlicher Abend! Da vergaßen wir allen Ärger über die späte Ankunft und konnten die nächsten Tage kaum erwarten. Wir wussten ja nicht, welches Unheil morgen über uns hereinbrechen sollte. Möglicherweise hätten wir den blutroten Mond lieber als Unheilsbringer interpretieren sollen, denn es war tatsächlich etwas Rotes, dass unserer Reise beinahe ein frühes Ende beschert hätte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen