NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Sonntag, 22. August 2021

Von Kramnitze nach Langø

Der europäische Ostseeküstenradweg ist etwa 8000 Kilometer lang. Ich kenne erst einen kleinen Teil davon. Trotzdem bin ich mir sicher, dass die Strecke zwischen Rødbyhavn und Nakskov zu den allerbesten Abschnitten gehört. Es könnte sogar sein, dass kein anderer Abschnitt so lange ununterbrochen der Ostsee folgt. Ich habe mich besonders auf diese Strecke gefreut, hatte aber auch ein wenig Sorge vor dem Gegenwind. Aber, was für ein Glück, es wehte kaum ein Lüftchen. Seine spärlichen Kräfte sparte sich der Wind lieber für den großen Windpark auf und ließ uns in Ruhe.
Auf der linken Seite klatschen die kleinen Wellen des Fehmarnsunds auf die Steine. Den ganzen Vormittag konnten wir die Insel Fehmarn in voller Breite sehen. Manchmal habe ich versucht, die einzelnen Leuchttürme zu identifizieren. Deutschland ist so nah, doch bevor wir zurückkehren, entfernen wir uns erstmal noch mehr.

Das weiße Fachwerkhäuschen auf dem Bild ist eher untypisch für das westliche Lolland, meistens standen da moderne Ferienhäuser: Weiße Rechtecke, die sich zwischen Wäldern und Mooren verstecken. Die Gegend ist ein wunderschönes plattes Paradies, aber auch sehr ausgestorben. Wer hier wohl Urlaub macht? Vermutlich Dänen mit Auto, die alles nötige vorher einkaufen und ansonsten nur einen Strand und viel Ruhe brauchen.


Nach einer Weile dachten wir uns: Viel wärmer wird es jetzt wahrscheinlich nicht mehr. Die letzten beiden Nächte hatten wir keine Dusche gehabt. Kurz entschlossen unternahmen wir unseren ersten (und letzten) Versuch, uns mit Naturseife im Meer zu waschen. Es funktionierte nicht so gut. Das lag möglicherweise daran, dass ich die neue Seife zu tief in der Tasche vergraben hatte, um sie zu finden. Stattdessen entdeckte ich plötzlich die alte Seife von der letzten Ostseetour, die wir damals nicht gebraucht hatten. Sie war extrem hart und hatte so gar keine Lust, nach zwei Jahren plötzlich doch noch benutzt zu werden und sich im Wasser aufzulösen.
Dieser Strand ist kein romantisches, feines Geriesel, sondern mehr so ein eiskalter, ehrlicher Strand mit fetten Algenbündeln und Steinen, dennoch fanden wir das Bad super und ausgesprochen erfrischend.

Die Dänen haben da aber offenbar höhere Ansprüche, und deshalb fahren die alle zur Halbinsel Albuen. Das ist ein schmaler Streifen aus angespültem Sand mit Gras und Schilf drauf, der wie ein Schwanz im Südwesten aus Lolland herausragt. Albuen hat mich ein wenig an die Ausläufer ganz oben und unten auf Hiddensee erinnert. Zugegeben: Hier hätten wir noch viel schöner baden können, aber einmal am Tag reicht auch.

Der Sand Albuens wird nicht nur zum Baden genutzt, sondern auch als Parkplatz. Weil da ein Tisch mit Bänken stand, haben wir uns Mittagessen gekocht, während neben uns immer mal wieder jemand ein- und ausparkte. Die Kulisse war viel zu schön, als das uns das groß gestört hätte.

Ab hier ist eine andere Insel am Horizont zu sehen, deshalb wechselt das Meer seinen Namen von Fehmarnbelt zu Langelandsbelt. Alle Namen rund um Lolland beziehen sich irgendwie auf die anderen Inseln rundherum, einen Lollandsbelt gibt's nicht.

Nach einer tollen Mittagspause wollten wir wieder frisch und fröhlich aufbrechen. Doch genau in dem Moment machten uns Studentenszene und die zweite Coronawelle einen Strich durch die Rechnung. Wie das? Da die Studenten daheim in den letzten Monaten keinen Raum zum Feiern hatten, taten sie das oft draußen auf dem Campus. Weil unter ihnen auch sehr rücksichtslose Menschen sind, liegen am nächsten Morgen viele Glasscherben auf dem Boden. Eine mikroskopisch kleine Scherbe hatte sich vermutlich dort in den Hinterreifen meiner Freundin gebohrt und erst jetzt den Weg bis zu ihrem Schlauch gefunden. Der war platt. Eigentlich kein Problem. Ein Typ im rosa Shirt fuhr vorbei, fragte, ob wir Hilfe brauchen, nein danke, wir haben den Reifen geflickt und sogar die winzige Scherbe entfernt, eine Stunde verloren, was solls. Nun hat das Hinterrad aber eine ausgesprochen sensible und spezielle Gangschaltung, für die keine Ersatzteile mehr hergestellt werden. Die musste ich dafür abbauen. So. Wie geht das rote Plastikding nun wieder rein? Wir knobelten eine Weile herum, dann war es drin und alles war gut.
Ungefähr eine Minute lang.
"Die Gänge sind jetzt in der falschen Reihenfolge.", wunderte sich meine Freundin. Was? Von so einem Defekt hatte ich noch nie gehört.
"Jetzt geht nur noch der erste Gang."
Wir hatten ein Problem. Der Typ im rosa Shirt kam erneut vorbei. Diesmal nahmen wir seine Hilfe gern an, er wusste aber auch keinen Rat, außer dass die Gangschaltung vermutlich noch reparabel war.
Weil wir sowohl unsere Räder als auch Panik schoben, brauchten wir für den Weg zum nächsten Dorf sehr lange. Was mir immerhin ein weiteres Wortspiel ermöglicht, denn das Dorf hieß Langø. In dem Tempo würden wir nie die nächste Stadt erreichen, ein Bus fuhr auch nicht mehr. Immerhin hatte Langø ein Cykelcamp. Dieser eigenartige, aber durchaus einladende Naturlagerplatz ist mit Spielplatz, Fitnessgeräten und gleich drei Toiletten ausgestattet: Einem Plumpsklo, einem richtigen Klo weiter unten am Hafen und einem Hundeklo. Letzteres ist fälschlicherweise als Zeltstellplatz Nr. 6 beschriftet, lässt jedoch keinerlei Zweifel an seiner wahren Funktion.
Eigentlich sollte man auch hier buchen und bezahlen, aber dafür reichte unser Handyempfang nicht. Diesmal hatten wir den ganzen Platz für uns, über uns lastete die Stille des Dorfes und in uns kreisten bedrohliche Fragen: Wenn die nächste Werkstatt kein Ersatzteil hat, können wir dann überhaupt noch weiter?

Plötzlich erlitt ich fast einen Herzinfarkt, als der rosa Typ mich mitten in der Stille von hinten ansprach. Er macht in einem Ferienhaus Urlaub und verbringt diesen offenbar damit, uns mit seinem Rad großräumig zu umkreisen. Diesmal konnte er einen wertvollen Rat geben: Unten am Hafen habe er eine Fahrradwerkstatt gesehen. Hoffnungsvoll machten wir uns gleich auf den Weg, doch bald folgte die Enttäuschung: Es handelte sich um eine Schmiede- und Marinewerkstatt für die vielen Segelboote, die im Hafen liegen. Und doch hat sich der Abendspaziergang gelohnt. "Guck mal", sagte meine Freundin und zeigte auf einen weiteren traumhaften Sonnenuntergang. Zwei Schwäne hielten uns offenbar für Künstler: Sie positionierten sich vor dem flammend roten Feuerball und machten dieses Schwanending, dass ihre Hälse wie ein Herz aussahen. Wir hatten weder Pinsel noch Spiegelreflexkamera dabei, sondern nur Kugelschreiber und einfache Digitalkamera. Beide waren nicht ausreichend, um dieses Bild einzufangen, also begnügten wir uns damit, zu gucken, noch länger zu gucken und zu staunen, dass es solch einen Anblick auch in Wirklichkeit gibt.

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