NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Dienstag, 24. August 2021

Von Rantzausminde nach Millinge

Als ich nach dem heutigen Morgenkaffee den Campingkocher zudrehen wollte, wollte er nicht zugedreht werden. Das blaue Ding spuckte einfach immer weiter Feuer. Mit Mühe und Not gelang es uns, diesen wildgewordenen Taschendrachen zu bändigen, indem wir den Aufsatz vom Gasbehälter abschraubten. Da war jetzt kaum noch Gas drin. Zudem war der Campingkocher eingeschnappt und wollte für den Rest des Tages gar nicht mehr brennen. Ein schlechter Start, aber was solls, kaufen wir eben in der nächsten Stadt einen neuen, dachten wir. Dabei war das erst der Anfang der heutigen Feuerkatastrophen. Heute brannte es an allen Ecken und Enden!

Sagte ich, Langeland sei hügelig? Fyn ist noch viel hügeliger.

Die Insel wird auch Garten Dänemarks genannt. In diesem Garten wächst neben dem obligatorischen Getreide auch die eine oder andere romantische Rosenhecke am Weg. Selbst die Rosen blühen in dänischem Gelb.

Dieser Weg ist eine Zickzackstraße, denn Radwege wachsen im Garten Dänemarks nicht. Es gibt ja genug Dorfstraßen, auf denen bloß alle zwanzig Minuten ein Auto vorbeikommt. Diese Straßen haben nicht den Zweck, dem Meer zu folgen, sondern alle Gehöfte zu erreichen. Um die Ostsee nicht aus dem Blick zu verlieren, mussten wir immer wieder links abbiegen, hoch und runter, nochmal links, zum Meer hin und vom Meer weg und immer wieder links. Eigentlich nicht schwer, es sei denn - verdammt, war da vorne ein versteckter Weg nach links, den ich übersehen habe? Wer auch nur einmal rechts abbiegt, landet in Vester Skerninge. Alle Wege führen nach Vester Skerninge - es ist eine besondere sportliche Herausforderung, dieses Dorf zu umgehen. Bei uns war es mehrmals ganz knapp.


Irgendwann sagte uns sogar die offizielle Route, wir sollten dem Meer den Rücken zuwenden und steil bergauf nach Vester Aby radeln. Dafür gibt es auch einen guten Grund. Dieser Grund heißt Konnerup & Co. und ist eine Schokoladenmanufaktur. Zur großen Enttäuschung meiner Freundin fand heute keine Führung statt, wir konnten nur durch die Scheibe beobachten, wie uns jemand den Rücken zudrehte und irgendwas in einem glänzenden Stahlbottich anrührte.


Schokolade und Eis haben trotzdem gut geschmeckt. Wir haben das Zeug während einer Heiß-Eis-Pause im Liegestuhl vor dem Haus verzehrt und uns dabei einen Wettlauf mit der Sonne geliefert, die unsere Naschereien unbedingt vorher wegschmelzen wollte. Nebenan lieferten sich die Fahrzeuge auf der Hauptverkehrsstraße ebenfalls einen Wettlauf. Schon ein bisschen seltsam, ausgerechnet hier so gemütliche Liegestühle hinzustellen. Aber gut, dieser Laden ist wohl vorwiegend zum Verkauf und nicht zum Verzehr gedacht. Sonst wäre der Standort ziemlich schlecht gewählt. Wir hatten in der Hitze nur die Option Sofortverzehr, denn unsere Taschen sind nicht klimatisiert.

Morgens hatte ich noch überlegt, einfach an dieser Straße weiterzufahren. Nach dem intensiven Kontakt mit der Hauptstraße entschieden wir: Wir nehmen den offiziellen Weg, egal wie lang und bergig der ist. Lass uns den Ravnebjerg bezwingen! Ja, der hat sogar seinen eigenen Namen.
Dieser Berg bietet auch mehr Sehenswertes als die Hauptstraße: Zuerst liegt ein weiteres bescheidenes Einfamilienschloss namens Holstenhuus Gods am Weg. Der Park ist mit einem ganz "kleinen Teich" und (laut Reiseführer) mit einer Via Ferrata ausgestattet. Ich dachte, eine Via Ferrata ein Klettersteig in den Alpen?! Der Ravnebjerg ist doch nur 70 Meter hoch.

Zum anderen liegt auf diesem Berg Dänemarks älteste noch funktionierende Wassermühle. Ich hätte sie mir gern näher angeschaut, das ging aber nicht.

Als wir nämlich die Kieswege und Kreuzungen hochkeuchten, wollte uns das Hinterrad meiner Freundin zeigen, was es alles berühren kann. Ergebnis: Es kann buchstäblich jeden materiellen Gegenstand im Universum berühren, jede Stange, jede Tasche, jedes kleinste Fitzelchen Metall oder Plastik kam plötzlich in Kontakt mit dem Hinterrad, erzeugte dabei sein eigenes blödes Geräusch - und störte beim Fahren. Es wurde so laut, dass meine Freundin irgendwann ihre Ohrenstöpsel herausholte. Jedes Mal, wenn ein neues nerviges Geräusch ertönte, begann ein langes Rätselraten, bis irgendwann ein netter Mechaniker aus Tübingen vorbeischaute und das Hinterrad erfolgreich geraderückte.
Aber das war nicht alles.
Gleichzeitig begann auch noch die Kette an ihrem Plastikschutz zu schleifen. Nachdem zwei Versuche, den richtig zu befestigen, gescheitert waren, schraubte ich den einfach ab. Dann war alles gut.
Bis auf das Tretlager. Das hatte nun ebenfalls keine Lust mehr und ließ die Pedale wild wackeln, klappern und klackern. "Da kann ich euch auch nicht helfen, das muss zur Werkstatt.", meinte der Tübinger und fuhr davon, vermutlich in der Überzeugung, den schlechtesten Tourenradlern Eurpas begegnet zu sein. Hoch oben auf dem Berg erreichte meine Laune ihren Tiefpunkt. In diesem Moment hätte ich Entenküken treten können.

Eine Werkstatt, aber wo? Ratlos rasten wir den Berg wieder runter und konnten das tolle Panorama, das sich unter der Straße ausbreitete, gar nicht genießen. 

In Faaborg gab es zwar einen Fri Bike Shop, doch bis wir dort waren, hatte der längst geschlossen. Genauso wie die Miniaturstadt, die wir uns ursprünglich ansehen wollten. Um der Stadt wenigstens irgendwas abzuringen, kauften wir das vergessene Handtuch und suchten einen neuen Campingkocher. Nachdem wir in vier verschiedenen Läden gesucht hatten, fanden wir zumindest eine Gaskartusche, aber nichts zum Draufschrauben - bis auf ein seltsames Herdplatten-Grill-Ding, das viel zu sperrig für unser Gepäck war.

Wir haben Faaborg ziemlich ungerecht behandelt. Die Stadt ist eigentlich ganz schön, doch wir sind bloß schlecht gelaunt von Geschäft zu Geschäft geeilt.
Faaborg will auch zeigen, dass es im Garten Dänemarks liegt, deshalb wachsen zwischen den bunten Häusern dicke Hecken. Dahinter bimmelt der Klocketårn (Glockenturm) vor sich hin.

Am Hafen gibt es ein Wikinger-Wohngebiet mitsamt dazugehörigem Schiffs-Spielplatz.

Ich hatte schon eine Übernachtung gebucht, und dazu mussten wir mit dem klapprigen Rad noch ein paar Kilometer weiter. Dafür haben wir die direkte Straße genommen. Die Flügel einer Windmühle wiesen uns den Weg zur eigenartigsten Übernachtung auf der ganzen Tour.

Am Waldrand erwartete uns der Shelterplatz Millinge Klint. Moment mal, Klint? Ist hier eine Steilküste? Naja, ein bisschen. Der Millinge Klint ist etwa fünf Meter hoch und komplett zugewuchert mit Grasgewächsen und Buschgewuschel in allen Grüntönen. Jedes Mal, wenn ich den engen Pfad zum Wasser beschritt, piekte mir mindestens ein Dorn durch die Kleidung. Außer später in der Nacht, als ich keine Kleidung trug außer einem Handtuch. (Keine Sorge, es gibt eine harmlose Erklärung dafür.) Da piekte mich der Weg direkt in die Haut. Am Ende des Pfades folgen eine Holztreppe und ein Steg, beide zum Glück ohne Dornen, dafür aber mit toten Krebsen, die daran festkleben. Das Meer ist flach und steinig. Kleine Wellen bringen die Boote zum Schaukeln, die links und rechts an weiteren Stegen vertäut sind.

Unser Schlafplatz lag schon ein paar Meter vor der Küste. Zelten ist hier nicht erlaubt, man soll mit Kreditkarte für vier Euro pro Nase eine Schutzhütte buchen. Der Platz ist vor allem für Gruppen und Schulklassen gedacht. Die Schutzhütten sehen (jedenfalls auf den ersten Blick) viel moderner aus und sind sie mit Schuppen aus dunklem Holz verkleidet, dazwischen gibt's kleine runde Fensterlöcher - mit Plastikscheiben drin, damit die Wärme nicht rausgeht. Womit wir beim ersten Problem wären, denn die meisten Hütten lassen sich nicht schließen. Das hatte ich auf den Fotos im Internet nicht erkannt - wenn das Ding eine richtige Tür hat, rechne ich doch nicht damit, dass eine der Wände komplett offen ist. Ich hatte uns das kleinste Modell gebucht, eine Hütte für zwei Personen, die Skrubben genannt wird. Weil aber sonst niemand da war, sind wir einfach ins Obergeschoss einer großen Doppelstockhütte gezogen, denn nur dort ließen sich alle Öffnungen schließen. Nachdem ich mit einem bereitgestellten Besen den Dreck herausgefegt hatte, war es ganz gemütlich. Nur die Bretter knarrten die ganze Nacht bei jeder Bewegung.
Die ganze Anlage hat mich an einen Escape Room erinnert. In der ewig langen Reservierungsmail auf Dänisch und Englisch verbargen sich alle nötigen Informationen, darunter auch mehrere Geheimcodes zum Öffnen. Wir gaben sie ein, fanden heraus, wie die Türknäufe und Knöpfe funktionieren, um daraufhin neue Gegenstände und deren Funktion zu entdecken.
Ein Code öffnete die Tür zum Waschhaus, auf der Rückseite öffnete ein weiterer Code das Feuerholzlager (1 Sack kostet extra). Da gab es richtige Waschbecken, Toiletten und sogar kalte Duschen. Wobei einigen Duschen der Duschkopf fehlte, während andere zusätzlich mit Schimmel ausgestattet waren. Schade, hier schaut wohl nur selten jemand nach dem Rechten, dabei ist der Platz doch eigentlich so schön.
Jetzt brauchten wir dringend etwas zu Essen. Wie sich herausstellte, war das Universal Gas, das wir für den Campingkocher gekauft hatten, doch nicht so universal. Mit unserem alten, abgewrackten und verformten deutschen Aufsatz passte es jedenfalls nicht zusammen. Mit Gewalt zwängte ich den Aufsatz doch irgendwie drauf, wir brauchten schließlich Essen. Dann drehte ich ihn auf und zündete an. Es kam Feuer heraus. Das war gut.
Allerdings kam es an der Seite heraus. Das war weniger gut.
Vor Schreck purzelte ich hinterrücks vor der Bank, meine Freundin löschte den Kocher schnell. So war das Kochen zu riskant. Also beschlossen wir, das Feuerholz zu nehmen. Schließlich hatten wir eine perfekte Feuerstelle, sogar mit einem Gitter, um den Topf draufzustellen. Nun kenne ich theoretisch im Groben die Regel, wie man so ein Feuer anzündet: Zuerst ganz unten Papier, darüber dünnes Holz und dann dickeres. Doch wann immer ich das versuche, habe ich das Gefühl, das Feuer kennt diese Regel überhaupt nicht. Auch diesmal wollte es nicht brennen. Mist. Müssen wir jetzt kalte Suppe essen? Und wie sollen wir es so je um die Ostsee schaffen? Und wie bin ich Idiot bloß je auf die Idee gekommen, ich könnte so was wie ein Abenteurer sein?
In diesem Moment kam meine Freundin aus dem Waschhaus gelaufen und beendete meine Identitätskrise mit einer Flasche Brennspiritus. Diese Flasche hatte ganz entscheidende Auswirkungen auf unser Schicksal. Sie sollte diese Tour retten, indem sie uns zuerst warmes Essen verschaffte und dann fast umbrachte.

Zum Shelterplatz Millionen Klint gehört auch eine Sauna. Abends zu zweit in der Wildnis auf einer Steilküste zu saunieren klang für uns nach genau die Art von unvergesslichem Erlebnis, das wir auf einer Reise haben wollten. Und es sollte in der Tat unvergesslich werden.
Also hatte ich die Sauna für 20 Euro dazugebucht. Zwei Säcke Feuerholz waren inklusive, denn diese Sauna funktioniert ohne Strom. Bitte kein Meerwasser aufgießen, es rostet, erklärte ein Schild mit einem Bild eines komplett verrosteten Ofens. Okay, dachte ich und holte einen großen Eimer Leitungswasser - nur um festzustellen, dass in der Sauna bereits einer stand.
Nun ging ich verständlicherweise davon aus, dass das mit dem Feuer auch hier nur mit Spiritus klappen würde. Also kippte ich welchen in den Ofen.
Was dann geschah, ging dermaßen schnell, dass ich gar keine Zeit hatte, mich zu erschrecken. Das kam erst später.
Ein Feuerball schoss auf mich zu. Als er sich auflöste, brannten zwei der Wände lichterloh.
Das Hirn meiner Freundin arbeitete schneller. "Oh mein Gott, was tust du?", schrie sie und fiel quasi rückwärts aus der Tür. Übrig blieb ich.
Mit zwei brennenden Wände.
Und zwei Eimern Wasser.
Für diese Rechenaufgabe reichte mein Hirn gerade noch. Dafür muss man kein Einstein sein. Trotzdem bewunderte mich meine Freundin sehr für meinen Mut und Einfallsreichtum, weil ich spontan den Feuerwehr-Aufguss erfunden und den Brand gelöscht hatte (den ich selbst gelegt hatte, aber egal).
Als das Wasser die Flammen traf, verschwanden sie sofort und hinterließen zwei zischende dicke Dampfwolken, die auch auch nicht größer waren als bei jedem normalen Saunaaufguss.
Meiner Freundin war klar geworden, dass ich noch drin war. "Brennt es noch?", fragte sie ängstlich.
"Nur im Ofen", antwortete mein Gehirn automatisch, nachdem es die Umgebubg nach Feuern gescannt hatte.
Nachdem sich der Dampf verzogen hatte, betrachteten wir verwundert das Holz. Es war nur ein ganz kleines bisschen dunkler geworden. Vermutlich würde es niemandem auffallen, und ein wirklicher Schaden war ja auch nicht entstanden.

Wir verbrachten dann doch noch einen wunderbaren Abend mit der Sauna, fast genau so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Nach einer Stunde hatten wir den Ofen so richtig auf Touren gebracht und mussten sogar lüften, um nicht die Höchstgrenze von 100 Grad zu überschreiten, mehr durften wir der Sauna laut der Anleitung nicht zumuten. Erst spät in der Nacht plumpsten wir wie ein Stein auf unsere Luftmatratze.

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