NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Dienstag, 14. September 2021

Von Neubukow nach Warnemünde

Impf-Countdown: Noch 1 Tag

Der letzte Tag bis Rostock - kann das wirklich wahr sein? Schaffen wir es heute zu unserem Mindestziel? Müsste eigentlich klappen, wenn nichts gewaltig schiefläuft.
Es lief nichts gewaltig schief. Stattdessen war dieser Tag ein grandioses Finale voller Steilküsten, Strände und Aussichtstürme, Umleitungen und Verfahrensfehlern, also nochmal mit allem, was diese Ostseetour geprägt hat.

An der ersten Dorfstraße entdeckten wir hinter einer blühenden Hecke einen wunderbar restauriertes Bahnhofsgebäude, sogar mit so einer Uhr, wie sie heute noch an Bahnhöfen tickt. Fehlt nur noch die dazugehörige Bahntrasse.

Im Ostseebad Rerik ist die Wismarsche Bucht zu Ende. Das Ende bildet eine schmale Hal(s)binsel, die zum Ende hin wieder dicker wird. Wir folgten der Straße immer weiter und wären fast in dieser Sackgasse gelandet, bis es mir gerade noch auffiel.
Als wir uns umdrehten, fiel unser Blick auf eine besonders hohe Düne mit einer besonders langen Holztreppe. Wenige Minuten später standen wir oben auf dem sogenannten Schmiedeberg und hatten wieder den perfekten Überblick. Die Slawen haben dieser Düne ein Upgrade zum Burgwall gegeben und eine Holzburg draufgestellt. Von der ist nichts mehr zu sehen, stattdessen steht da ein einfacher Aussichtsturm aus Holz.

Früher trug dieses Seebad den slawischen Namen Alt-Gaarz. 1938 erhielt es die Stadtrechte und zugleich einen neuen Namen, denn Slawen gehörten bekanntlich zu den zahlreichen Menschen, welche die Nazis auf den Tod nicht ausstehen konnten. Wikinger dagegen fanden sie super, weil sie sich ja selber für welche hielten. Gerade waren auf dem Schmiedeberg die Reste des Burgwalls ausgegraben worden, und die Nazis dachten, das sei der legendäre Wikinger-Handelsplatz Reric und nannten die Stadt Rerik mit K. Erst 1990 fanden Forscher heraus, dass Reric vor der Insel Poel lag. Trotz dieser fragwürdigen Namensgeschichte behielt Rerik seinen Namen, was ich irgendwie verstehen kann - Alt-Gaarz klingt halt schon ziemlich öde.
Das Ding in Rerik war nur irgendeine Slawenburg, die ungewöhnlicherweise direkt am Meer lag (weshalb auch besonders wenig von ihr übrig ist). Vielleicht spielte diese Burg zeitweise eine wichtige Rolle als politischer und kultischer Mittelpunkt, spekuliert eine Hinweistafel. Vielleicht aber auch nicht. Über den peinlichen Patzer der Nazis schweigt das Schild.

Rerik ist alles andere als villenlos. Hier beginnt die erste Seebäder-Kette von Mecklenburg-Vorpommern. Die Strandbäder stehen hier an der Küste aufgereiht wie Perlen an einer Schnur. Die Leute reisen hier so gerne hin, dass zum Beispiel Flixbus diese kleinen Örtchen alle einzeln ansteuert. Zum Glück halten die Seebäder einen Sicherheitsabstand ein, sodass es nicht so anstrengend ist wie die Lübecker Erlebnisbucht.

Wir halten unterdessen Abstand zum Wasser, weil sich der sumpfige Riedensee am Meer erstreckt.

Als unsere Karte vorschlug, wir könnten eine Variante nehmen, die kurz am Meer langgeht, waren wir dafür sofort Feuer und Flamme (beziehungsweise Wasser und Welle), auch wenn dieser Weg ein kleines bisschen länger ist. Wir radelten einen Hügel hinunter und übersahen dabei vor lauter Vorfreude die Baustelle. Unten bremste uns ein Schild aus. Es verkündete, der Radweg sei unpassierbar. Als uns zwei Radfahrer entgegenkamen, fragten wir sie, inwiefern das stimmte. Sie meinten, man müsste die Räder stellenweise tragen. Darauf hatten wir gar keine Lust, also kehrten wir notgedrungen um.

Das nächste Ostseebad ist sehr, sehr lang. So lang, dass es in zwei Teile unterteilt wird. Ursprünglich entstand es sogar aus drei Seebädern, die sich zusammenschlossen.
Zuerst folgten wir eine ganze Weile einer Allee durch Kühlungsborn-West. Zwischendurch schlossen wir die Räder an und gingen etwas essen, um zu feiern, dass wir unser Mindestziel fast geschafft haben. Unsere Räder durften dagegen nicht gefüttert werden.

Ganz kurz schlängelten wir uns zwischen den Besuchern der Strandpromenade hindurch. Dort stand wie in Heiligenhafen ein Riesenrad, dazu richtig viele Strandvillen. Am besten hat mir diese hier gefallen, die sieht so prächtig-chaotisch aus und ähnelt entfernt einer Burg oder einem Schloss.

Eine andere Allee brachte uns dann nach Kühlungsborn-Ost. Weil Kühlungsborn so lang ist, bietet es zwischendurch auch Platz für Wälder. Die Grüne Stadt am Meer ist so grün, dass wir das Meer nicht sehen konnten, obwohl es ziemlich nah war. Auf der anderen Seite reihen sich die weißen und gar nicht günstigen Strandhotels aneinander.

Kühlungsborn-Ost ist das eigentliche Zentrum, wie an der Seebrücke unschwer zu erkennen ist. Aber nanu? Was ist das? Direkt daneben sieht es grau und ungemütlich aus. Spontan entdeckten wir einen Grenzturm und ein Stück Grenzzaun, an dem alte Propagandaplakate zur Schulung der Grenzsoldaten hängen.
Es handelt sich um die alte Version eines DDR-Beobachtungsturms. Diese Türme waren rund und so schmal, dass sie im Sturm gefährlich schwankten. An der Grenze im Binnenland wurden sie alle durch stabilere rechteckige Türme ersetzt, aber die Grenze an der Ostsee war offenbar nicht ganz so wichtig, deshalb blieb die alte Variante stehen. Obwohl es am Meer bekanntlich besonders stark stürmt. Das war sicher nicht schön.
Wir beobachteten, wie zwei Leute im Turm verschwanden - und nicht wieder auftauchten. Kann man da etwa hoch? Wir näherten uns, da fragte uns auch schon der Wächter des Turms: "Wollt ihr nach oben?" Definitiv. Und wir mussten dafür nur zwei Euro spenden.

Bei all meinen Tagestouren am Eisernen Vorhang habe ich nie einen Beobachtungsturm entdeckt, den ich besteigen durfte. Nun hatte ich überraschend die Möglichkeit. Und so viel sei vorweg gesagt: Es wurde sehr verstörend.
Der Aufstieg ist eine sportliche Herausforderung, die meiner Freundin einiges an Mut abverlangte (mir natürlich nicht, ähem). Wir kletterten auf Leitern durch die enge Röhre. Alle zwei Meter wechselten wir die Seite. Kleine Plattformen, die nur Platz für einen Menschen bieten, verhindern, dass wir im Falle eines Falles zu tief fallen.

In der Beobachtungskanzel ist etwas mehr Platz, aber gerade das machte diese Türme ja so instabil -  dass dieser dünne Strohhalm so ein großes Zimmer trägt.
Hier hingen keinerlei Informationen. Die gab es unten am Grenzzaun oder im dazugehörigen Grenzmuseum. Die Einrichtung beschränkte sich auf echte Ferngläser und Gewehre. Im Grunde fehlte nur noch die Munition zur Originalausstattung. Wir durften also die Touristen beobachten und auf sie zielen. Allerdings beschränkten wir uns dann doch aufs Beobachten. Das war schon seltsam genug. Wir konnten genau erkennen, welche Farbe die Mütze des Typen da draußen auf dem Segelboot hatte (rotbraun) oder wie viele Leute sich im Pool eines Hotels entspannten. Zum Glück ist das hier kein FKK-Strand.
Die gesamte Küste von MV konnte Honecker nicht absperren, dafür waren die Strände viel zu beliebt. Also mussten er sie umso genauer beobachten lassen. Ich stelle es mir alles andere als erholsam vor, wenn ich mich im Urlaub fragen muss, wie weit ich rausschwimmen darf und ob schon eine Waffe auf mich gerichtet ist.

Der Turm konnte Peter Döbler nicht davon abhalten, genau hier die DDR hinter sich zu lassen. Der Arzt trainierte dermaßen hart, dass sein Körper 10 Stunden schwimmen im Winter nicht mehr als außergewöhnliche Belastung wahrnahm. Er entschied sich für die Strecke von Kühlungsborn nach Fehmarn, weil die nicht ganz so streng bewacht schien.
Eines Abends stieg er ins Wasser, tauchte vor den Suchscheinwerfern ab und schwamm einfach mal 45 Kilometer in 24 Stunden. Was ein Typ! Er verzichtete sogar darauf, ein westdeutsches Schiff auf sich aufmerksam zu machen (die sehen mich eh nicht) oder einer Boje zu pausieren (brauch ich nicht). Auf Fehmarn glaubten ihm die Fischer kein Wort, bis er seine ausgemergelten Hände zeigte.
Im Buch Über die Ostsee in die Freiheit habe ich von vielen weiteren Fluchtversuchen gelesen und überrascht folgendes festgestellt: Erfolg hatten tendenziell eher diejenigen, die halb vorbereitet, halb spontan mit kleinen Surfbrettern oder Faltbooten im Zickzack auf unerwartet indirektem Kurs abgehauen sind. Erwischt wurden tendenziell alle, die am Strand erstmal ein aufwändiges selbstgebautes U-Boot zusammensetzen mussten oder einen superkomplizierten Plan überlegten, wie sie eine Segelerlaubnis bekommen und dann im richtigen Moment nach Osten von der vorgeschriebenen Route abweichen. Richtige Schiffe konnten nämlich per Radar aufgespürt werden und wurden dann in internationalen Gewässern festgenommen. Außer der Bundesgrenzschutz war da, dann kam es zu richtigen Kalten Seeschlachten mit Kriegsschiffen und Helikoptern, die sich gegenseitig blendeten und ihre Waffen luden. Wer mit der größeren Feuerkraft drohen konnte, bekam die Flüchtlinge.

In Kühlungsborn dampft eine Dampflok durch die Gegend und weiter nach Bad Doberan. Sie heißt Molli, wie die kleine Lok bei Jim Knopf, und ist damit ein begehrtes Ausflugsziel für alle Kinder, die diese Bücher lieben.
Im Bahnhof Kühlungsborn Ost befindet sich das Molli-Restaurant Gleis 2, wo die Gäste in Nischen sitzen, die wie Zugabteile aussehen. Bei der Gestaltung haben die sich die Betreiber mehr Mühe gegeben als beim Essen.

Im Grunde geht es ab jetzt fast nur noch schnurgeradeaus am Wasser bis nach Warnemünde, und zwar fast durchgängig mit Steilküste. Das dürfte einer der schönsten Abschnitte des Ostseeradwegs überhaupt sein. Und das wissen natürlich nicht nur wir. Gestern hatten wir den Radweg für uns, doch als sich das Wetter und die Strecke heute so rasant besserten, wurden wir überschwemmt von Elektro-Rentnern. Das waren immer Gruppen, und aus irgendeinem Grund kamen uns die meisten vormittags entgegen - wollen die etwa doch auf die weniger interessante Strecke nach Wismar? Am frühen Nachmittag waren dann die meisten E-Kolonnen vorübergezogen.
Die erste Steilküste ist noch nicht so hoch und durch die dichten Büsche war nicht allzu viel zu sehen, nicht mal auf einer kleinen Aussichtsplattform.

In einer dunklen und stürmischen Nacht vor langer, langer Zeit ist hier mal eine Sturmflut so richtig eskaliert. Die Bewohner der Küste besannen sich daher auf den besten Hochwasserschutz, der ihnen damals zur Verfügung stand: Beten. Blitze zuckten und auf einmal, däm, stand da ein kostenloser, betriebsbereiter und mutmaßlich heiliger Damm. So heißt es zumindest in der Sage, die erklären soll, wieso das nächste Ostseebad Heiligendamm heißt. Gelegentlich wird es auch Weiße Stadt am Meer genannt, wegen seiner klassizistischen Villen.

Im Jahre 1793 nahm hier alles seinen Anfang, was die Mecklenburger Ostsee so entscheidend geprägt hat. Ein Großherzog bekam von seinem persönlichen Arzt den Tipp, dass so ein Seebad eventuell gesund sein könnte. Daraufhin gründete er das allererste Ostseebad. Finanziert wurde es unter anderem durch den Verkauf von 1000 Mecklenburger Soldaten. Das Bad wurde ein voller Erfolg, wenn auch nicht so wie geplant: Die Leute schliefen lieber direkt in Heiligendamm, statt sich in Bad Doberan ein Zimmer zu nehmen und mit der Bahn rüberzufahren. Und sie verbachten die meiste Zeit gar nicht im Wasser, sondern in Casinos. Ersteres kann ich verstehen, letzteres weniger. Als 1867 das Glücksspiel verboten wurde, ging der Nachfahre des Herzogs quasi sofort pleite und musste das Seebad verkaufen.
Die Molli verlässt in Heiligendamm die Küste, denn nun wird es ein bisschen unwegsamer.

Hinter dem heiligen Damm ragt ein weiterer Grenzturm aus den Dünen, diesmal aber ein ziemlich schrottreifer. Hier sind wir kurz an der Straße gefahren und freuten uns schon auf den nächsten Radweg, als ein unheilverkündendes Schild verkündete, wir sollten einen riesigen Umweg machen. Der Weg sei infolge des Starkregens kaputt. Oh nein. Wir sollen das schönste Stück des Tages weglassen?
Wie beim letzten Mal benutzten wir entgegenkommende Radler als Orakel. Davon gab es echt viele, und keiner hatte das enttäuschte Gesicht eines Menschen, der sinnlos in eine Sackgasse gefahren ist. Ein gutes Zeichen. Noch während wir darüber diskutierten, mischte sich plötzlich ein Mann ein, der direkt neben uns am Tisch eines Restaurants speiste. "Das ist kein Problem", meinte er. Also setzten wir die Fahrt fort. Auch wenn ich nicht ganz sicher war, ob der das womöglich nur gesagt hatte, damit unsere Diskussion seine Mahlzeit nicht länger störte.

Nein, er hatte Recht. Mehr oder weniger. Auf dem breiten Kiesweg war so viel Platz, dass der Typ gleichzeitig Recht und Unrecht haben konnte. Ganz rechts am Feld konnten wir gefahrlos weiterfahren. Ganz links hingegen hätten wir das eine oder andere Problem und unsere Route eine steile Wendung abwärts bekommen.
Diese Steilküste ragt direkt aus der Ostsee und fällt dementsprechend im Falle eines Falles auch dort hinein. Zum ersten Mal sahen wir eine Klippe, die untenrum keinen schmalen Strand hat. Die Wellen haben in der letzten Zeit ziemlich stark am hellen Sand herumgekratzt, wodurch Teile des Radwegs abgekratzt sind. Aber selbst ich mit meiner nicht immer optimalen Aufmerksamkeit lief nie auch nur entfernt Gefahr, da runterzufallen. Ich sah die Abbruchstellen schon von Weitem. Wie auch nicht? Es sieht aus, als hätte ein verdammtes Seeungeheuer ein Stück Ostseeküstenradweg abgebissen!

Am Horizont tauchte eine dunkelgrüne Masse auf. Die Blätter verwehrten jeden Blick hinein. Wir schlüpften durch das einzige Loch ins geheimnisvolle Dunkel, das gar nicht mal so dunkel war, sobald wir drin waren. Das ist der Gespensterwald. Offiziell heißt er Nienhagener Holz, aber wirklich niemand nennt den Wald so.
Wir umrundeten jede Menge dürrer Bäume, die wie Gespenster aussehen sollen. In der Dämmerung ist das vermutlich gruseliger. Tagsüber hat dieser Wald gar nichts Unheimliches, er ist einfach nur Faszinierend.

Der Abgrund ist vom Radweg nicht zu sehen, doch mittendrin steht nur wenige Meter entfernt eine Aussichtsplattform für Fußgänger. (Plattform ist vielleicht das falsche Wort, eigentlich sind da nur hölzerne Zäune und geringfügig weniger Bäume.)

Auf einmal hat die Steilküste wieder einen Strand, und der ist gar nicht mal so klein und darf ganz legal über einen Aufgang betreten werden. Von unten ist die Sandklippe noch besser zu sehen. Die sieht richtig edel aus. Sie hat einen marzipanfarbenen Teint und trägt oben eine kurze, dichte Frisur aus Gras und Bäumen, die den Anschein erweckt, ein Haarstylist hätte sie gleichmäßig zurückgegeelt.
Regelmäßige Rillen durchziehen die Klippe. Höchstwahrscheinlich stammen sie von Regenwasser, jedoch sieht das Muster aus, aus würde jemand die Steilküste regelmäßig mit einer Harke verzieren wie einen Vorgarten.

Auf den Gespensterwald folgt das Seebad Nienhagen. Es besteht aus weiteren weißen Villen und begegnet der Gefahr von Klippenabstürzen mit dramatischen Schildern.

Anbei ein Geheimtipp: Wenn Sie in Nienhagen kurz vor Silvester spazieren gehen, können Sie beobachten, wie jemand erstmals einen Paragliding-Schirm ausprobiert, den er zu Weihnachten bekommen hat. Dazu gleitet er auf dieser Wiese immer wieder hin und her, über den Wald traut er sich nicht und auf das Meer nur ein bisschen. Anfangs fliegt er langsam und vorsichtig, dann immer mutiger. Ein tolles Unterhaltungsprogramm, mit dem Sie sogar ihre Kinder von der Idee eines Spaziergangs bei Eiseskälte überzeugen können. Zumindest für zwei Minuten.

Hinter Nienhagen sieht der Wald deutlich normaler und die Steilküste etwas grobschlächtiger aus. Ein Abwasserrohr ergießt sich auf den Strand.
Der spektakulärste Teil liegt hinter uns, doch es ist immer noch ziemlich toll. In regelmäßigen Abständen lädt eine Treppe zum Erkunden des Meeres ein, und meine Freundin war fest entschlossen, viele dieser Einladungen anzunehmen. Aber nicht alle. Sonst wären wir erst um 1 Uhr nachts in Rostock angekommen, das wollte sie dann doch nicht.

Die traumhafte Strecke neigt sich dann am Haus Stolteraa so langsam ihrem Ende entgegen. Das Haus ist ein beliebtes Ausflugslokal mit sehr vielen Wellensittichen, welche die Geräuschkulisse maßgeblich beeinflussen.

Natürlich können die Gäste auch über die Klippe blicken, die ist inzwischen aber wieder total zugewachsen. Der Strand ist durch Bäume und Büsche noch zu erkennen, die eigentliche Steilküste dazwischen nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass sie ausgerechnet hier mit 18 Metern ihren höchsten Punkt erreicht. So hoch sieht das gar nicht aus.
In der Ferne ist zu erahnen, wie der Wald immer niedriger wird und sich die Abbruchküste in den möglicherweise bekanntesten Strand der Ostsee verwandelt.

Das durften wir aber nicht so genau sehen, denn ab Haus Stolteraa werden die Ostseeradler in die zweite Reihe verbannt. Sie fahren zwischen dem Wald und Kleingärten und kommen dann beim großen Strandmassenparkplatz unter der weißen Kugel eines Meteorologischen Beobachtungsturms heraus. Viele Rostocker Kinder dürften diesen Parkplatz kennen. Es ist der Ort, an dem ihr Vater an so manchem Sonntagnachmittag bei zunehmender Affenhitze irgendeinen Parkplatz gesucht hat.
Von da aus folgt der Ostseeradweg ohne Ostseeblick einfach nur geradeaus der Straße, quer durch den Ort bis zum Bahnhof und zur Fähre. Normalerweise hätte ich mich über eine solche Streckenführung ein bisschen geärgert, aber da ich Warnemünde eh kenne und wir jetzt endlich ans Ziel wollten, war mir das ganz recht.

Dennoch wäre dieser Blog unvollständig ohne ein Bild vom Warnemünder Strand. Die Dünen, Verwehungen und Sandflächen sind dermaßen breit, dass sie sich einst unter Mitwirkung meiner kindlichen Fantasie in eine Wüste verwandelten.
Diese Breite ist auch nötig, denn dieser Strand ist nicht nur der breiteste, sondern auch der vollste der deutschen oder sogar der kompletten Ostsee. Im Sommer ist die Sandwüste übersät mit Strandkörben, Hüpfburgen, Lautsprecherboxen, Bühnen und Menschen, Menschen, Menschen. Dann gehört der Strand voll und ganz den Touristen.
Dahinter speist der kleine Fluss Warnow die Ostsee. Wer seinem Lauf etwa 15 Kilometer landeinwärts folgt oder 25 Minuten S-Bahn fährt, erreicht das Zentrum von Rostock. Von all den kleinen Ostseebädern ist Warnemünde das einzige, das Teil einer Großstadt ist (auch wenn es lange unabhängig war und heute noch ganz anders aussieht).

In Rostock verbrachen wir drei Impf- und Ruhetage bei der Familie. Dabei probierte ich auf einem Streedfoodfestival geröstete Insekten. Sie schmeckten nach Nichts mit Soße.

Vor dem Kröpeliner-Tor-Center (KTC), dem größten Einkaufszentrum der Rostocker Innenstadt, steht eine bemerkenswerte Statue. Der Bildhauer Reinhard Dietrich schuf 1970 das Werk namens Sieben stolze Schwestern küsst das eine Meer. Die sieben Schwestern stellen die sieben Anrainerstaaten der Ostsee dar: Dänemark, BRD, DDR, Polen, Sowjetunion, Finnland und Schweden. Die sollen doch bitte friedlich zusammenleben. (Und wenn nicht, sind eindeutig nicht die kommunistischen Schwestern schuld. Die sind ja friedlich, was diese Plastik beweist.)
Diese Liste ist mittlerweile natürlich nicht mehr ganz aktuell. BRD und DDR sind vereint, während aus der Sowjetunion Russland, Litauen, Lettland und Estland wurden (und andere, die nicht an der Ostsee liegen), sodass wir nun auf insgesamt neun Staaten kommen. 2008 erhielt der Brunnen daher ein nachträgliches Update in Form von neun kleinen Fontänen (rechts im Bild außer Betrieb) zu Füßen der nunmehr vom Kapitalismus umgebenen Schwestern.

Zufällig ergibt die ursprüngliche Statue nur für uns wieder Sinn.
Zwei der Ostseeschwestern kennen wir nun sehr genau.
Bleiben noch sieben.

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