NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Montag, 6. September 2021

Von Schönberg nach Neuteschendorf

Impf-Countdown: Noch 8 Tage

So, nach dem Trödeltag gestern sausen wir jetzt einen Tag richtig durch, damit wir vorankommen!
So lautete der Plan.
Tja.
Was geschah, war folgendes: Wir wollten einen kürzeren Weg aus dem Wald nehmen, verfuhren uns total, landeten in Schönberg und waren erst am späten Vormittag wieder oben am Strand, also dort, wo wir gestern Abend abgebogen waren. Na gut, lief nicht ganz so wie erwartet, aber jetzt können wir richtig schön am Meer durchziehen!
Dann fielen mir die Eier aus der Fahrradtasche.
Wir wollten heute Bratkartoffeln mit Eiern machen. Noch war nicht alles verloren: Erstens waren die Eier nur einmal in der Mitte zerbrochen, der Inhalt war größtenteils noch drin. Transportieren ließen sich die Dinger nicht mehr, aber wir konnten sie jetzt sofort verbraten. Zweitens war eigentlich schon fast Mittagszeit. Drittens: Dieser steinige Strand präsentierte sich als menschenleere, paradiesische Stelle für eine Mittagspause.
So kam es, dass wir ebenso spät wie gestern losfuhren, aber immerhin schon ungewöhnlich früh unsere Hauptmahlzeit im Magen hatten. Hoffentlich geben uns die Kartoffeln ordentlich Energie!

Nun waren wir satt, aber gleichzeitig durstig. Das Kochen hatte viel Wasser verbraucht, und ausgerechnet hier fanden wir keine Möglichkeit, es nachzufüllen. Ein halber Liter für jeden von uns blieb noch, aber da wir nicht wussten, wo der nächste Wasserhahn auf uns wartete, benutzten wir den lieber sparsam. Je höher die Sonne stieg und uns aufheizte, desto schwerer fiel uns das.
Bald darauf war der brasilianisch-kalifornische Strandradweg zu Ende, wir wurden wieder ins Binnenland geschickt. An dieser Biegung stand irgendein gläsernes Museum oder Infozentrum oder Hotel oder was auch immer, leider verschlossen. Dahinter zwei Dixiklos, aber die sind ja nicht direkt für ihr frisches Trinkwasser bekannt.

Durstig durchquerten wir ein Dorf nach dem anderen, bis die Rettung nahte - zu unserer Überraschung jedoch nicht in Form von Wasser, sondern Milch. An einer Milchtankstelle kramten wir zwei Euro zusammen, warfen die Münzen in den brummenden Automaten und stellten eine Flasche unter ein dünnes Röhrchen. Auf Knopfdruck schoss ein weißer Strahl aus dem Milchautomaten zielstrebig in die Flasche. Nur wenige Spritzer gingen daneben, bis ich sie perfekt positioniert hatte. Aah, wie kalt die Milch ist! Der Automat hatte sie auf die ideale Temperatur gekühlt. Gierig ignorierten wir die Warnung, die der Milchautomat verkündete. Rohmilch vor dem Verzehr abkochen? Nö, dazu sind wir zu durstig! Wahrscheinlich habe ich nicht mehr so viel Milch am Stück getrunken, seit ich feste Nahrung zu mir nehmen kann.
Der Automat nebenan verkaufte Kakaotütchen, die waren uns aber ein bisschen zu überteuert.
(Unverträglichkeitshinweis: Wer unter starker Laktoseintoleranz leidet, sollte diesen Abschnitt des Ostseeküstenradwegs aus Sicherheitsgründen nicht fahren.)


Ein langer See erstreckte sich direkt neben der Ostsee, abgetrennt durch zwei Deiche, dazwischen verläuft die Straße. Als wir den Binnensee am Horizont erblickten, wussten wir, dass wir gleich wieder auf das Meer stoßen werden.

Diese Seestraße brachte uns ins Seebad Hohwacht. Das scheint in erster Linie ein beliebter Ort für Rentner-Spaziergänge zu sein. Trotzdem hat mir Hohwacht super gefallen, die betreffenden Rentner haben halt Geschmack.
Wir erreichen jetzt die Ostseeküste der fancy Seebrücken. Die Brücke in Hohwacht nennt sich Die Flunder, denn die hölzernen Stege haben ganz entfernt die Form eines Fischs, der aussieht, als hätte man ihn ein paarmal mit dem Schnitzelklopfer breitgeklopft.
Das typische Dekorationselement in Hohwacht sind blaue Stangen mit goldenen Kugeln obendrauf, eine dieser Kugeln erhebt sich auch über der Seebrücke. Ich weiß nicht, welcher Körperteil der Flunder das sein soll. Eventuell stellt es auch ein Segel oder die Sonne dar.

Hohwacht hatte nicht nur eine Strandtoilette, die uns mit frischem Wasser versorgte, sondern auch ein Café mit besonders gutgelaunten Kellnern. Drei Rentnerinnen saßen in der Ecke, redeten über so gut wie alles und gaben zwischendurch Feedback: Die Tasse sei zu klein, weshalb der Kaffee überschwappt. "Das habe ich meinem Chef auch schon gesagt, aber der ist zu geizig, um neue zu kaufen.", lautete die verblüffend ehrliche Antwort. Der weitere Dialog ließ den Verdacht aufkommen, dass besagter Chef unter seinen Mitarbeitern nicht so richtig viel Respekt genoss.

Eine extrabreite, extraflache Treppe verbindet die oberen Hotels mit den unteren Strandcafés. (Selbst die Infrastruktur ist für spazierengehende Rentner ausgelegt. Fehlt nur noch der Treppenlift.) Dazwischen ragt eine Steilküste auf. Sie besteht aus normaler dunkelbrauner Erde, in der Laubbäume wachsen. Doch für Radfahrer ist diese Steilküste eine kleine Besonderheit.

Für gewöhnlich treten Steilküsten auf dem Ostseeradweg eher unvermittelt auf. Nur in flachen Gebieten dürfen wir Radler direkt ans Meer, aber sobald es hügelig wird, entfernen wir uns im Bogen von der Küste, bis wir plötzlich, zack, auf den steilen Abgrund stoßen.
Doch in Hohwacht konnten wir zum ersten Mal auf zwei Rädern erleben und spüren, wie eine Steilküste immer weiter heranwächst. Durch die Bäume sahen wir gut, dass es nebenan immer tiefer abwärts ging. Gleichzeitig fühlten wir in den Füßen, wie der Weg immer steiler aufwärts führte. Dafür nehme ich eine Steigung doch gern in Kauf (zumal es insgesamt gar nicht mal so steil war).

Diese Route ist zwar nicht der offizielle Ostseeradweg, denn der geht hintenrum durchs Ortszentrum, vermutlich, damit der tolle Weg nicht verstopft. Radfahren ist hier aber trotzdem erlaubt, und in der Nebensaison ist diese Route gar nicht voll und bedenkenlos zu empfehlen!
Am höchsten Punkt bietet eine Aussichtsplattform einen Blick auf - noch mehr steile Ufer. Auch diese Plattform ist wieder mit der mysteriösen goldenen Kugel ausgestattet. Das am Horizont ist die Sehlendorfer Steilküste, die mit 17 Metern noch ein gutes Stück höher ist und ganz anders aussieht, ein bisschen wie im Western - braun, weitgehend unbewachsen und für Radfahrer nicht zugänglich.

Anschließend brachte uns der Kiesweg in eckigen Serpentinen wieder abwärts, was sogar noch mehr Spaß machte als bergauf.

Zwischen den beiden Steilküsten durchquerten wir eine flache Zone mit Kuhweiden und einem Naturschutzgebiet.
Mehrere Viehsperren, eine lange Holzbrücke und ein paar hübsche flache Seen inmitten von Schilf machen den Weg etwas abenteuerlich. So richtig schnell kamen wir da auch nicht voran, dafür konnten wir die Aussicht besser genießen.

Der Rest der Etappe eignet sich eher, um schnell durchzufahren, ohne sich viel umzuschauen. Vor der Sehlendorfer Steilküste verließen wir das Meer und verbachten den Rest des Tages auf straßenbegleitenden Radwegen. Das Interessanteste, an dem wir noch vorbeikamen, waren die mittelschönen Bauklötze im Ferienresort Weißenhäuser Strand und eine Betonpanzerpiste hinterm Zaun in einem militärischen Sperrgebiet. Diese Sperrzone war zum Teil auch der Grund, warum wir nicht mehr ans Meer durften.

Im Abendlicht überquerten wir zweimal die A1 und radelten vorbei an den reetgedeckten Häusern des Burgwall-Museums. Der Burgwall gehört zur Oldenburg von Oldenburg, aber die Oldenburg befindet sich laut Stadtplan ganz woanders in Oldenburg, also enthält das Burgwall-Museum gar nicht den Burgwall. Oder so. Ich verstehe Oldenburg nicht ganz.
Zuerst hat ein slawischer Fürst hier eine Burg hingebaut, und später der Graf Adolf von Schauenburg, aber beide wurden bis auf den Wall komplett zerstört. Scheint kein günstiger Standort zu sein.
Oldenburg in Holstein ist wesentlich kleiner als das niedersächsische Oldenburg. In dieser Region werden gern Städteamen aus anderen Teilen Deutschlands abgeschrieben und mit dem Zusatz in Holstein versehen, um Verwechslungen sowie urheberrechtliche Klagen zu vermeiden.

Rund um Oldenburg gab es keinen geeigneten Schlafplatz, also blieb uns nichts anderes übrig, als in die Dämmerung hineinzufahren. Jetzt kommt noch Kröß, dann ein paar Hügel, dann noch Wandelwitz, wieder Hügel, dann kommt Neuteschendorf und dahinter ist der nächste Campingplatz! Wenn mir derartige Gedanken immer wieder durch den Kopf kreisen, ist das ein klares Zeichen, dass die Kraft und Motivation nachlässt.
Wir erreichten den Campingplatz Blank Eck um halb acht, also eigentlich gar nicht so spät. Eine heruntergelassene Schranke begrüßte uns, daneben das dunkle Fenster der Rezeption, die schon seit 18 Uhr verschlossen war. Unangemeldete Spätanreiser werden nicht geduldet - oh Mann, an so was hatte ich gar nicht gedacht. In Dänemark hätte man sich hier einfach hinstellen können (außer auf dem Schickimicki-Platz in Assens, da hatte die Rezeption aber auch bis 21 Uhr geöffnet). Sämtliche Wälder und potentielle Wildcamping-Spots in der Nähe gehörten entweder zum Gelände des Campingplatzes oder zum militärischen Sperrgebiet gleich nebenan. Ich wählte die Notfall-Nummer an der Rezeption, auch wenn der Hinweis bezüglich der Spätanreisenden kaum Erfolg versprach. Eine Frau meldete sich mit ihrem Namen.
"Bin ich hier richtig beim Campingplatz?", fragte ich verunsichert.
Stille.
"Der Campingplatz ist geschlossen.", lautete die mürrische Antwort. Oh Mist, war sie etwa schon im Bett? Da würde ich vermutlich auch so genervt klingen.
Ich versuchte es trotzdem noch einmal: "Wir wollten übernachten, wenn es noch geht."
"Einen Augenblick, ich komme runter."
Auch das gehört zu Deutschland: Unpraktische Regeln aufstellen, am Ende aber trotzdem, wenn auch etwas unwillig, ein Auge zudrücken.

"Sie können auf Platz 254 schlafen oder an der Steilküste.", erklärte sie uns bald darauf in der Rezeption. Noch eine Steilküste? Immer her damit!
Die Wiese mit dem Namen Steilküste I war bereits vollständig besetzt. Wir stellten uns also ein Stück weiter hinten auf die Steilküste II, was auch super war. Neben uns standen nicht nur Wohnmobile, sondern auch ein anderes Paar im Zelt (mit Auto) und ein paar Ferienhütten. Eine davon war nicht besetzt, also konnten wir deren Terrasse benutzen. Dort bot sich uns eine wunderbare Aussicht über ein Meer von Wohnmobilen, in dem die Sonne unterging.

Nur wenige Meter entfernt lag die Steilküste I. Hier hatten sich dicht an dicht Wohnmobile direkt an die Abbruchkante gestellt. Wer hätte gedacht, dass sich hinter der abweisenden Schranke solch ein phantastischer Schlafplatz verbirgt? So haben wir heute sogar noch eine nackte, braune Steilküste aus der Nähe gesehen. Ein Pfad brachte uns zielstrebig hinunter zum steinigen Strand, doch der Strandspaziergang endet nach wenigen Metern an einem Zaun. Die Militär-Sperrzone grenzt direkt an den Zeltplatz. Das ist irgendwie seltsam. Andererseits hat der Platz dadurch eine gewisse Monopolstellung: Wer diese Steilküste sehen will, muss auf diesem Platz übernachten, ringsherum ist alles unzugänglich.

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