NEU: Die schwedische Halbinsel der Zugvögel

Falsterbo

Sonntag, 5. September 2021

Von Kiel nach Schönberg

Impf-Countdown: Noch 9 Tage

Sagte ich, eine Übernachtung über der Kieler Fußgängerzone sei gar nicht mal so cool? Kleine Korrektur: Es ist super, nur halt morgens und nicht abends. Zur Morgenstunde erwacht die Innenstadt zum Leben, denn die Kieler sind Frühaufsteher. Direkt vor der Haustür gönnten wir uns ein schönes Frühstück im Eiscafé. Egal, was wir bestellten, wir bekamen beide eine ganz kleine Mini-Eiswaffel dazu, die in einem kleinen metallenen Halter am Teller klemmte. In Kiel gilt: Morgenstund hat Eis im Mund.


Wir haben den halben Tag damit verbracht, Kiel zu besichtigen. Erst gegen Mittag haben wir uns dann auf die Socken gemacht.
Die Kieler Förde endet am Kieler Hörn, einem gebogenen Glashaus.

Kurz vorher überquert die Hörnbrücke die schmale Förde, und obendrauf der Ostseeradweg.

Unsere heutiges Ziel ist es, die Kieler Förde zu verlassen, und dann im Idealfall noch 20 Kilometer weiterzukommen. Ob wir das noch schaffen? Schon das Verlassen der Förde ist nicht so einfach, denn diese Großstadt ließ uns nicht so leicht entkommen.

Das moderne Wirrwarr aus Brücken, Becken, Schiffen und Glashäusern war noch ganz angenehm zu fahren.

So richtig anstrengend fanden wir die endlosen dichten Vorstadtstraßen. Ans Meer durften wir nicht, weil dort die Werft (die mit dem hohen Kran) und der andere Industriekram viele Kilometer einnehmen. Wir sahen das grünliche Wasser erst wieder, als wir einen kleinen Fluss auf einer schmalen Brücke (über die überraschenderweise auch Autos fahren dürfen) überquerten.

Ist Kiel jetzt endlich zu Ende? Nein. Aber ein paar Kilometer hinter dem Fluss folgte zumindest schon mal der erste Wald, komplett ohne Häuser. Das wurde auch Zeit! (Öffentliche Toiletten hatte es auf den letzten Kilometern nämlich nicht gegeben.)

In Möltenort sitzt ein Reichsadler auf dem U-Boot-Denkmal. Das Ding wurde 1930 gebaut, 1936 schon wieder neu gebaut, weil es zu kaputt war (deutsche Qualität halt) und 1950 nochmal von den Kriegsschäden renoviert und umfassend uminterpretiert. Die U-Boot-Soldaten, die auf dem Meer starben, sind jetzt keine Helden mehr, deren Tod irgendwann gerächt werden muss, sondern Männer, die leider grausam starben und durch ihren Tod mahnen, den Frieden zu wahren, damit nicht noch mehr Menschen so sterben müssen. Schon erstaunlich, welch unterschiedliche Botschaften sich in einen graubraunen Steinturm mit einem Adler drauf reininterpretieren lassen. (Es ist dabei hilfreich, wenn man das Hakenkreuz wieder abnimmt.)

Der Kunstkiosk am Strand von Möltenort wird seinem Namen mehr als gerecht. Er verkauft nicht nur Gemälde, wir bekamen auch noch ein kostenloses Streichkonzert. Was für eine schöne Überraschung! Manchmal habe ich das Gefühl, eine höhere Macht hat unsere Tour durch Schleswig-Holstein perfekt getimet.

Nächster Beweis: Wären wir die folgende Strecke morgen gefahren, hätten wir einen langen Umweg fahren müssen. Ein altmodisches Display verkündet, dass die Bundeswehr morgen um diese Zeit einen Munitionstransport durchführt, weshalb viele Kilometer Uferweg gesperrt und mit Stacheldrahtzäunen verschlossen werden. Das wäre wirklich schade gewesen, denn für eine Strecke durch ein Militärgebiet ist sie echt schön. Abgesehen von den abschreckenden grauen Zäunen ist das einfach ein normaler, top ausgebauter Radweg durchs Grüne. Fotografieren darf man nicht - jedenfalls nicht innerhalb dieses Gebiets, ein Foto kurz vorher außerhalb wird ja wohl noch erlaubt sein.
Nur einmal überquert der Radweg eine eingezäunte Straße, auch dort standen uns die Tore weit offen. Da wird dann vermutlich die Munition vom Gebäude zum Schiff gefahren oder so, und dabei darf natürlich auf gar keinen Fall ein Spaziergänger etwas klauen. Das ist schließlich das Vorrecht der versteckten Rechtsextremisten in der Armee.

Danach geht es militärisch weiter, denn wir wollten ein U-Boot mit dem fantasievollen Namen U955 besuchen. Aus folgendem Grund: Quasi jeder, dem gegenüber wir jemals erwähnt haben, dass wir im Sommer in Kiel sind, hat uns dieses U-Boot empfohlen. Der lange graue Koloss aus dem Zweiten Weltkrieg liegt nicht mehr im Wasser, sondern auf dem Strand von Laboe.

All unsere Bekannten hatten Recht. Ein Besuch im U995 lohnt sich. Es sei denn, man ist Klaustrophobiker oder trägt einen großen Rucksack auf dem Rücken. Beides kann zu Problemen führen.
Ein U-Boot sieht von draußen grundsätzlich groß aus, während es von innen total klein ist. Das ganze Ding ist quasi nur ein enger Tunnel, der mit mit Rädern, Röhren, Ventilen und Hebeln vollgestopft wurde. Zwei Menschen kommen gerade so aneinander vorbei. Dieser Tunnel verbindet den einen Eingang mit dem anderen und wird dabei von verschiedenen Türen in Räume unterteilt. Anfangs kam ich noch gut durch die Türen durch, aber irgendwann waren das nur noch runde Luken zum Durchklettern. Ich war schon drüben, aber mein Rucksack war einfach zu lang für die Dinger. Ich steckte fest. Der Platz reichte nicht mal aus, um mich genug zu drehen und den Rucksack auszuziehen. Hinter mir warteten die nächsten Menschen. Es wäre hilfreich gewesen, wenn mein Hintermann ein bisschen geschoben hätte. Es kam mir aber seltsam vor, darum zu bitten, also habe ich stattdessen gezogen und gehofft, dass oben im Rucksack nichts Zerbrechliches drinsteckt.

Das U-Boot war sehr nützlich, um den Comfort auf unserer eigenen Reise schätzen zu lernen. Mit einem wackligen, halbkaputten Campingkocher auf einer engen Bank zu kochen ist schließlich immer noch besser, als auf diesen zwei Herdplatten und einem halben Meter Platz Essen für 56 Personen zuzubereiten.

Die Zutaten hingen im ganzen Boot verteilt zwischen schlafenden schwitzenden Männern. Wer sich abends erschöpft unter den Torpedo schlafen legen wollte, musste erstmal abwarten, bis der Typ, mit dem er sich das Bett teilte, aufgestanden und zu seiner Nachtschicht aufgebrochen war.
Dagegen wirkt selbst eine Luftmatratze mit einer Hummel drin ganz harmlos.

Auf der anderen Straßenseite erhebt sich dieser Turm, der leider gerade Feierabend machte, als wir aus dem U-Boot kamen. Das ist kein Schornstein und auch kein dunkler Turm eines schwarzen Magiers, sondern ein Marine-Ehrenmal. Im Prinzip hat es einen ähnlichen Bedeutungswandel durchgemacht wie das U-Boot-Denkmal vorhin, nur ist dieser Turm sehr viel eindrucksvoller. Zudem bezieht er sich auf alle Marine-Soldaten, auch die oberhalb der Wasseroberfläche. Und die Botschaft war hier schon von Anfang an etwas zeitgemäßer, das expressionistische Kunstwerk sollte einfach an die verstorbenen Seeleute erinnern, ohne Rachegelüste.

In Laboe ist die Kieler Förde zu Ende. Auf der gegenüberliegenden Seite liegt der Olympiahafen von Strande, den wir gestern besichtigt haben. Uns hat die heutige Seite wesentlich besser gefallen, es ist leerer, wir konnten mehr am Wasser fahren und Laboe hat auch deutlich mehr Strand als Strande.
Wir setzten uns mit einem Heißgetränk auf zwei extrem wacklige Liegestühle und beobachteten eine Gruppe von Windsurfern, die gerade Unterricht bekamen. Offenbar handelte es sich um Anfänger, was das ganze weitaus unterhaltsamer machte. Wenn einer fiel, fielen alle. Manchmal sogar der Lehrer, vermutlich aus Solidarität.

Das war die letzte Förde, ab jetzt ist die Ostseeküste nicht mehr ganz so kurvig.

Boah, jetzt liegt Kiel endgültig hinter uns! Ich freute mich auf eine Strecke, die auf der Karte ganz besonders toll aussah. Da freute ich mich aber zu früh.
Zuerst machte der Weg einen kleinen Bogen zur Straße, dann war der Radweg am Deich wegen einer Baustelle gesperrt. Uns blieb nur ein umständlicher Umweg im Zickzack durch Kuhweiden und Feldwege.

Aber dann durften wir endlich auf den Traumradweg am Meer. Zuerst radelten wir auf dem Deich neben einem kleinen, seltsamen Leuchtturm. Aber, ups, das ist ja der Fußweg, wir müssen hier wieder runter.

Der richtige Radweg ist sowieso besser. Er ist richtig breit und folgt schnurgeradeaus einer kleinen Düne mit akkurat angepflanztem Strandhafer. In regelmäßigen Abständen verzieren die Strandaufgänge den Asphalt mit weißen Sandzungen, deren Breite stark variiert.
Die Wellen der Ostsee werden von Zungen aus Stein gebrochen, die ins Salzwasser hineinragen (nicht, dass heute irgendwelche Wellen zum Brechen vorhanden gewesen wären). Normalerweise übernehmen in Deutschland hölzerne Buhnen diesen Job. Auch abseits der Strandaufgänge zeigte sich die Ostsee als kleiner blauer Streifen hinter der Düne.
Das also sind die berühmten Strände von Kalifornien und Brasilien. Sie sehen tatsächlich so toll aus, wie es heißt.

Wer kann schon von sich behaupten, mit dem Fahrrad von Dänemark nach Brasilien gefahren zu sein? Wir. Die Seebäder heißen nun mal so, erst Kalifornien und dann Brasilien. Wir kamen sogar an einer kalifornischen Surfschule vorbei.

Das dritte Seebad im Bunde hat einen weniger exotischen Namen: Schönberg Strand. Dort stellten wir fest: Mehr schaffen wir heute wirklich nicht, wir brauchen einen Schlafplatz. Tja, dann fahren wir eben morgen umso mehr.
Die drei Seebäder gehören zu einer Stadt namens Schönberg in Holstein. Dorthin fährt eine Museumsbahn. Wer da eine pfeifende Dampflokomotive erwartet, wird enttäuscht sein: Es handelt sich nur um eine olle, rostige Straßenbahn.

Die hiesige Land(wirt)schaft nennt sich Probstei, weil der Probst eines Nonnenklosters im Mittelalter die ganzen Dörfer verwaltet hat. Das Besondere daran war, dass die Bauern da frei waren und die Probstei zum reichsten und erfolgreichsten Klostergrundstück in Ostholstein wurde. Ein Zufall? Vielleicht. Nach der Reformation sollten irgendwelche Ritter das Land bekommen, aber die Bauern haben vor Gericht durchgesetzt, dass sie frei blieben.
Mitten in der Probstei liegt die Kleinstadt Schönberg. Die ist ziemlich reizlos und befindet sich auch nicht direkt am Meer. Aber Schönberg stellte sich uns in den Weg, ob wir wollten oder nicht. Die Feldwege der Probstei sind einfach zu irritierend. Ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte, aber auf einmal sind wir ins südliche Ende der Stadt reingefahren. Dabei waren wir doch nördlich davon. Von Süden - wie?!
Aber vielleicht war das ganz gut, denn ich musste dringend noch das Geld für die Kieler Rathausturmtour überweisen. Das sollte man eigentlich direkt nach der Onlinebuchung bezahlen, was uns abends im Hotel aber durch technische Schwierigkeiten nicht möglich war.

Diesmal war es schwieriger, einen Platz zum Übernachten zu finden. Die Wälder waren entweder total zugewuchert, total sumpfig oder von einem breiten Wassergraben abgetrennt. Also haben wir uns neben den Gleisen der Museumsbahn platziert, bevor die Nacht endgültig über uns hereinbrach. Um das Zelt aufzubauen, musste ich schon die Taschenlampe einschalten. Das mit den Gleisen war kein Problem, die olle Museumsbahn fährt dermaßen selten, dass keinerlei Risiko bestand, sie könnte uns aufwecken. Uns störten nur der Müll, der leicht sumpfige Boden und ein Spaziergänger, der uns am nächsten Morgen anmeckerte, unser Schlafplatz sei "unsensibel", ohne das genauer zu begründen.

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